Gediegener Swing für feine Tanz-Tees? Kommt Botticelli Baby nicht in die Tüte. Das Septett, das am vergangenen Montag im Rahmen des Weltmusikfestivals „Over the Border“ in der Brotfabrik für Stimmung gesorgt hat, kann mit vielen Attributen belegt werden, „brav“ und „traditionell“ gehören allerdings nicht dazu. Man würde das Ensemble vielleicht eher als abgedreht bezeichnen, als rotzfrech und als vollkommen irre. Gnadenlos mischen sie Gypsy-Swing mit Balkan-Beats und einer ordentlichen Dosis Punk, bedienen sich in den 20er Jahren und zeigen doch zugleich dem so genannten Establishment den Mittelfinger. „Junk“ nennen sie das Ergebnis, als Verschmelzung von Jazz und eben Punk, doch auch die wörtliche Übersetzung als Müll ist durchaus gewollt. Dreckig soll die Musik sein, bissig, gegen alle Konventionen aufbegehrend. Also drehen Botticelli Baby einfach auf bis zum Anschlag – und treffen beim Bonner Publikum voll ins Schwarze.
Es ist schwer, sich den Grooves der Band zu entziehen, nach den ersten Tönen fast unmöglich. Zu groß ist der Sog der rohen, ungeschliffenen Melodien, die das Ensemble ohne Rücksicht auf Verluste in den Raum hämmert. Ästhetik ist dabei zweitrangig, ausrasten dagegen Pflicht. Selbst jene, die angesichts der extremen Urgewalt des Essener Kollektivs mitunter den Kopf schütteln und auf ein bisschen mehr Ruhe und ein paar klarere Strukturen hoffen, wippen doch unweigerlich mit, während sich Frontmann Marlon Bösherz mit seinem Bass in die Ekstase spielt und die Band in eine Richtung lenkt, die dem ebenso degenerierten wie genialen Sound eines Tom Waits gar nicht so unähnlich ist. Dazu passt auch, dass Bösherz einen schier endlosen Schwall lustvoller Wortspiele und wirrer Assoziationen herausschreit, so als trüge er eine unsichtbare Zwangsjacke. Alles Show oder doch schon Wahnsinn? Schwer zu sagen. Klar ist, dass die Musiker sehr genau wissen, was sie tun, auch wenn es manchmal anders klingt, etwa wenn die drei Bläser konsequent gegen den Rhythmus des Schlagzeugs spielen. Schön ist das nicht immer. Aber dafür gibt es ja die Entspannungspausen, also etwas traditioneller gesetzte Stücke wie „Hold On“, bei denen der Punk zu Gunsten des Swings ausnahmsweise in den Hintergrund rückt, bevor Botticelli Baby wieder Gas gibt und jeden Stil mit einem breiten Augenzwinkern überfährt. Das Publikum nimmt beides dankbar an, tanzt sich um Kopf und Kragen und feiert eine Musik, die keine Zurückhaltung kennt, keine Kompromisse – und keine Grenzen.
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