Mittelaltermärkte in rund 28.000 Klein- und Mittelstädten, eine mittlere Positionen bei der Digitalisierung und diverse minderbemittelte Hip-Hop-Künstler mit Endreim-Mängeln: Das ist Deutschland. Zumindest laut Rainald Grebe, der seine Heimat auf Bitten des Goethe-Instituts auch mal im Ausland vertritt. Und wie bei so vielem, was der leidenschaftliche Dadaist und Kabarettist erzählt, mischt sich auch hier Wahrheit und Fiktion, Realität und Wahnsinn. 2016, so die Legende, sei Grebe sogar an die Elfenbeinküste eingeladen worden, wo ihn unter anderem ein afrikanischer Chor mit deutschem Liedgut erwartete. Für seine Vermittlungsarbeit tauchte Grebe daher in die Abgründe der deutschen Seele ein – und präsentiert seine Ergebnisse seit nunmehr drei Jahren in Form seines „Elfenbeinkonzerts“, so wie jetzt auch in der Bonner Oper.
Der Nonsens, den der 48-Jährige auf der Bühne sonst so konsequent pflegt, ist in diesem Fall mehr als einmal nur Mittel zum Zweck beziehungsweise die Form, in die Grebe seine nur auf den ersten
Blick absurden Analysen gießt. Nur zu gerne hält er dem Volk den Spiegel vor, regt sich über pathetische, austauschbare oder auch schlichtweg peinliche Städte-Slogans auf („Konstanz – die Stadt
am H2O“; übrigens eine Werbung von 2009) oder analysiert Hip-Hop-Titel auf ihre Endreim-Reinheit, die irgendwo zwischen „Die Da“ und „Ahnma“ aufgegeben worden ist. Eine saubere, elegante,
eloquente Sprache ist so hinweggerafft worden – was für den Poesie-Gladiator Grebe umso schlimmer ist, als er den Hip Hop als neue deutsche Volksmusik ausgemacht hat, die seit der Zeit von Run
DMC und Public Enemy ganze Generationen geprägt hat und heutzutage populärer ist als jedes andere Genre. Zumindest deuten die Verkaufszahlen darauf hin. Und die lügen schließlich nicht.
Nebenbei setzt Grebe sich auch mit der Digitalisierung auseinander. Sein eigenes mobiles Endgerät im Koffer-Format berät ihn immer wieder hinsichtlich der Wünsche seiner Kunden, gibt Liedlängen
an und ermöglicht auch die Kontrolle der Saal-Technik – zumindest angeblich. So ganz ausgereift ist dieser Ansatz aber noch nicht, so dass Tontechniker Franz doch seinen Job behalten und seinen
Herrn und Meister auf der Bühne fröhlich einnebeln kann. Der kommentiert derweil ekstatisch eine Runde Robo-Fußball (herrlich!) und erklärt Apps wie Snapchat und Musical.ly, die für die jungen
Generationen der neueste Schrei sind und an denen Grebe konsequent versagt.
Ein wenig oberlehrerhaft wirkt Rainald Gebe in diesen Momenten dennoch. Für Dada ist da kein Platz, „Tuffm“ oder ähnliche Ausbrüche fehlen leider völlig. Wie auch, wenn ein Künstler heutzutage
die Mitte zusammenhalten muss, damit die nicht aus Verzweiflung oder Langeweile an die politischen Ränder driftet. Da ist exzentrisches und schrilles Gehabe nicht angebracht. Schade. Stattdessen
ist Aufklärung angesagt. Etwa über Endreime, Religion, Kolonialismus und die unterschiedlichen Varianten des Struwwelpeters, von der gynäkologischen Ausgabe von 1884 über Struwwelhitler bis hin
zum Struwwel-Vader. Auch dem Begriff des Volkslieds spürt er nach, von Herder über Goethe bis zu den Brüdern Grimm und Komponisten wie Schumann. Grebe will daran mit der Musik der Gegenwart
anknüpfen, lässt zu „Palmöl aus Malmö“ die Hände wippen und hat doch mehr Erfolg mit Hymnen wie „Brandenburg“. Das Publikum zeigt sich davon denn auch begeistert und feiert Rainald Grebe für
seine Didaktik ebenso wie für seinen Nonsens mit tosendem Applaus.
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