Wenn der Bonner Jazzchor auftritt, sind ungläubig staunende und bewundernde Gesichter im Publikum keine Seltenheit. Das Ensemble hat sich in den vergangenen 15 Jahren zu einem der besten Chöre Nordrhein-Westfalens gemausert und verfügt vor allem über jene Lässigkeit und Leichtigkeit, die für Jazz und Pop gleichermaßen essentiell ist. Am vergangenen Samstag hatten die Lokalmatadore nun gemeinsam mit dem dänischen Quintett Postyr zu einem Workshop mit anschließendem Konzert eingeladen – und damit einen enormen Erfolg feiern können. Rund 100 Teilnehmer hatten sich angemeldet, um insgesamt drei Stücke zu erarbeiten. „Die waren alle super vorbereitet“, gestanden einige Chormitglieder später. Und so war es ein leichtes, die nicht ganz einfachen Arrangements souverän umzusetzen.
Beim abendlichen Konzert in der Evangelisch-Freikirchlichen Gemeinde Bonn-Plittersdorf zeigten die Workshop-Teilnehmer dann, was sie gelernt hatten. Den Andreas-Bourani-Hit „Alles nur in meinem Kopf“ präsentierten sie zu Beginn alleine, ganz ohne die Unterstützung des Bonner Jazzchores und dafür unter der Leitung von Postyr-Mitglied Tine Fries. Von der Empore und aus dem Publikum heraus erschallten die zarten Harmonien, die in der Akustik des Raumes gut zum Tragen kamen. Ein beachtliches Ergebnis. Doch dann zeigte der Jazzchor, was noch alles möglich ist. Schon der Opener „Don't wanna dance“, den mit Line Groth die zweite Frau aus den Reihen von Postyr arrangiert hatte, überzeugte mit starker Dynamik, einem fantastischen Beatboxer und vor allem einem omnipräsenten Groove, den andere Chöre mit einer ähnlichen Ausrichtung auch nach Jahren nicht einmal annähernd beherrschen. Dies setzte sich auch bei der gefühlvoll gesungenen Ballade „Sankt Caecilia“ fort oder auch bei dem eindrucksvoll bedrohlichen „Baba Yaga“ samt Hexengeschrei und dämonischem Beschwörungsgemurmel.
Den zweiten Teil des Konzerts gestaltete dann Postyr. Das dänische Quintett suchte dabei einmal mehr nach der Zukunft des Vokalgesangs und verknüpfte ihre Stimmen mit Loop-Computern und Verzerrern, um effektvolle Klangwelten zu erschaffen. Die Fünf gingen gerade am Anfang weit über das hinaus, was andere Vokal-Ensembles mit elektronischen Mitteln machen und versuchte so, die Grenzen des Begriffs „a-cappella“ neu zu definieren. Mit Erfolg. Dabei steht außer Frage, dass Postyr auch klassischen Vokalgesang beherrschen, wie sie etwa bei Bob Dylans „Ring Them Bells“ oder dem herrlich zarten „Broken“ in einer unplugged-Version unter Beweis stellten. Doch gerade die Technisierung hebt Postyr aus der Masse hervorragender a-cappella-Formationen heraus, ihr transhumanistischer, kybernetischer Gesangsstil, der etwa Tine Fries und Line Groth erlaubt, mittels des Computers ihren eigenen Frauenchor zu gestalten. Ein faszinierendes Experiment, wenn auch ganz anders als die natürliche Vielstimmigkeit des Bonner Jazzchors. Der freut sich derweil schon auf das nächste Doppelkonzert in Plittersdorf: Am 6. April trifft er in den Räumen der Evangelisch-Freikirchlichen Gemeinde auf den dänischen Mädchenchor Mariagerfjord Pigekor.
Kommentar schreiben