Beethovennacht: Die Hoffnung hinterm Schlachtenklang

„Alle Menschen werden Brüder“: Diese Vision hat Ludwig van Beethoven im vierten seiner 9. Sinfonie mit Friedrich Schiller und der ganzen Welt geteilt. Seine Vertonung der „Ode an die Freude“, die den Abschluss seines opus magnum bildet, ist bis heute ein Aufruf zur Einheit und zugleich eine Revolution in musikalischer und sozialer Hinsicht, die immer noch nicht abgeschlossen ist. Insofern ist es nur konsequent, dass das Beethovenorchester Bonn (BOB) die Neunte im Rahmen der Beethovennacht in der Bonner Oper spielt, insbesondere mit Blick auf den Ersten Weltkrieg, der vor 100 Jahren endete und der sich, so hieß es damals, nie wiederholen sollte. Ein Entschluss, der leider nicht lange vorhielt.

Umso aufgeladener ist die Aufführung der Sinfonie, die diesmal den Abschluss eines ganzen Konzertzyklus zum Thema bildet, zumal das BOB mit der Tokyo Oratorio Society einen ganz besonderen Chor zu Gast hatte. Immerhin erklang in der japanischen Kleinstadt Naruto – ebenfalls vor 100 Jahren – zum ersten Mal in Asien Beethovens Neunte, dargeboten von den deutschen Insassen eines Kriegsgefangenenlagers und mit der Unterstützung der heimischen Bevölkerung. Wodurch der Bogen dann erneut geschlagen wäre.

 

Gleichzeitig stellt das BOB mit ihrem lebhaften und herrlich dynamischen Dirigenten Dirk Kaftan dem Mammutprojekt der Neunten, die mit einer Gesamtlänge von mehr als einer Stunde und ausladender Besetzung beträchtlichen Aufwand erfordert (neben dem Orchester und der Tokyo Oratorio Society wirken der Philharmonische Chor der Stadt Bonn sowie vier Solisten mit), zwei andere Werke gegenüber, die geschickt miteinander verflochten sind und sich gegenseitig kommentieren. „Wellingtons Sieg oder die Schlacht von Vittoria“ war Beethovens größter Triumph, eine Darstellung der Schlacht zwischen Briten und Franzosen mit musikalischen Mitteln, samt „Rule Britannia“ und Kanonendonner. So ein Werk von jenem Komponisten, der sich für die Freiheit und den Frieden einsetzte? Das hat viele Musikwissenschaftler immer wieder irritiert. Kaftan löst dieses Dilemma geschickt, indem er Auszüge aus Mauricio Kagels „Märsche um den Sieg zu verfehlen“ einfügt, die Soldaten ganz bewusst stolpern lassen sollen und die die Rhetorik des Marsches durch die Mangel drehen. Erfreulicherweise funktioniert diese Kombination danke eines exzellent agierenden Orchesters und seines präzisen Dirigenten hervorragend, wirkt zwar für das Publikum mitunter ungewohnt, zeugt aber von einer eindeutigen Haltung, die der aktuellen weltpolitischen Situation durchaus angemessen ist.

Zwischen diesen beiden Polen präsentiert das Beethoven Trio (Mikhail Ovrutsky, Violine; Grigory Alumyan, Cello; Jinsang Lee, Klavier) Beethovens Geistertrio mit dem schimmernden Mittelsatz samt seiner gehauchten Motive in bravouröser Manier. Umschlossen wird dies durch sprudelnde, himmelstürmende Melodien, die signalisieren, dass es selbst aus einem Jammertal einen Ausweg gibt und eine Erlösung aus der Verzweiflung des Todes. Die Hoffnung stirbt eben zuletzt.

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