„Der Wind hat mir kein Lied erzählt“: Zoten und Zauber

Ein bisschen Tabubruch muss schon sein. Travestie lebt schließlich davon, von diesem wilden Mix aus deftigen Zoten, übertriebenem Glamour und schrillem Habitus, hinter dem sich doch nur die Sehnsucht nach Liebe und Zärtlichkeit verbirgt. Diese Kunstform hat nun auch in das Schauspielhaus in Bad Godesberg Einzug gehalten: Irma Jung und Dagmar Dangereux alias Johannes Brüssau und Daniel Breitfelder haben am vergangenen Freitag in selbigem einen wilden Ritt durch alle Höhen und Untiefen des Genres begangen, bei dem alles möglich und nichts undenkbar war. „Der Wind hat mir kein Lied erzählt“, singen sie, gnadenlos Zarah Leander parodierend und gerne mal die Drag Queens mimend. Dabei können sie auch anders, vor allem Irma. Und in jenen wenigen Fällen, in denen das Duo mal einen Gang herunterschaltet, weht tatsächlich ein Hauch von Magie durch das ehrwürdige Haus.

Natürlich sind sich Irma und Dagmar ihrer Exzentrik durchaus bewusst, kokettieren damit sogar. Nicht ohne Grund haben sie ihre Show in der Regie von Sebastian Kreyer nicht etwa in den eigentlichen Theaterraum gelegt, sondern ins Foyer. Genauer gesagt in einen Teil des Foyers, darauf legen sie wert, und zwar in jenen Teil, der weder Bar noch Garderobe ist, allerdings einst Bar war. Die Schnapsseligkeit schwappt somit aus der Vergangenheit herüber, ebenso wie Reminiszenzen an Olivia Jones und Lilo Wanders auf der einen Seite und an die verruchte Eleganz des Bourlesque auf der anderen. Breitfelders Dagmar verkörpert ersteres, ist überzeichnet bis ins Extrem, eine Parodie ihrer selbst, schrill, laut, zotig. Eine Rampensau, die sich über das inzwischen zugeschüttete Bonner Loch (und andere Eigenarten dieser Stadt) köstlich amüsiert und als krawalliger Zauberer Cavalli die Horrorfilme der 20er Jahre dermaßen persifliert, dass es fast schon zu viel wird. Ihre Kollegin Irma droht dadurch gelegentlich in den Schatten zu verschwinden, obwohl sie auch überaus schlagfertig sein kann.

 

Doch am stärksten ist sie dann, wenn sie leise Töne anschlägt, wenn sie Barbaras „Die Einsamkeit“ anstimmt oder Kurt Weills „Lost in the Stars“, dabei fast splitterfasernackt mit zwei Federfächern spielt und eine anrührende Verletzlichkeit an den Tag legt. Das sind die Momente, in denen aus dem Trash ganz große Kunst wird und die Travestie zu mehr als bloßem Amüsement. Vielleicht braucht es auch diesen Kontrast, den Dagmar mit mit ihrer selbst gewählten Tuntigkeit nur zu gerne schafft, braucht es die Maske des Grotesken, um die Schönheit dahinter erst wertschätzen zu können. Aber es kommt nicht zuletzt auf die richtige Balance an. Und mit der hat „Der Wind hat mir kein Lied erzählt“ mitunter etwas zu kämpfen. Ja, es gibt wunderbare Momente, auch von Pianist Eduard Flemmer, der einmal im Wikingerkostüm ein Lied anstimmen darf und somit quasi Dagmar seine Stimme leiht. Und ja, sie berühren jedes Mal. Doch ein paar weitere Ruhepunkte inmitten der bewusst überhöhten Künstlichkeit und der schrillen Affektiertheit hätten der Produktion sicherlich nicht geschadet. Nichtsdestotrotz erschaffen Breitfelder und Brüssau mit ihren femininen Alter Egos einen abwechslungsreichen und vergnüglichen Abend, der zumindest bei der Premiere ausgiebig gefeiert wurde. Die nächste Aufführung ist für den 31. Januar geplant.

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