Axel Zwingenberger: Die Grooves der Boogie-Dampflok

Boogie Woogie und Züge stehen seit jeher in einer ganz besonderen Beziehung zueinander. Nicht umsonst galt ersterer als musikalisches Symbol der Industrialisierung: Der rollende Achtelbeat in der linken Hand des Pianisten imitiert das Stampfen der Dampflok, das Tempo kündet von Reisen in die Ferne. Und vorne im Führerhaus sitzt Axel Zwingenberger und legt lachend noch eine Schüppe drauf. Der 63-Jährige war Mitte der 70er Jahre einer der Wiederentdecker des Boogie Woogie in Deutschland und gehört bis heute zu den besten Tastenvirtuosen dieses Genres. Jetzt sitzt er im Arithmeum, gibt ein „concerto discreto“ und hat sichtlich Spaß an dem für ihn ungewöhnlichen Ambiente. „Ich hätte nie damit gerechnet, mal in einer mathematischen Institution zu spielen“, scherzt er. Und legt los.

Dabei haben gerade Boogie Woogie und Blues auf den ersten Blick sehr viel mit Zahlen zu tun. Die Zwölftakter sind logisch aufgebaut, die Varianten folgen logischen Gesetzmäßigkeiten. Doch daran denkt nun wirklich niemand, wenn jemand wie Zwingenberger über die Tasten jagt und Eigenkompositionen sowie Klassiker präsentiert. Das erste Stück mit „Boogie Woogie“ im Titel ist natürlich mit dabei („Pinetop's Boogie Woogie“), ebenso wie „St Louis Blues“ von W.C. Handy und der ein oder andere Titel von Altmeister Albert Ammons. Dazwischen dann der „Honkey-Tonk Train Blues“, der nach der Hauptstadt von Burkina Faso benannte „Ouagadougou Stomp“ oder der „Suitcase Blues“, den Zwingenberger einmal ohne und einmal mit Gepäckträger spielt. Müde wird dieser dabei nicht, spielt wie ein Duracel-Pianist, der über kleinere Ungenauigkeiten einfach drüber rollt.

Im Laufe des Abends nimmt das Konzert immer mehr Tempo auf, und auch das Publikum legt die anfängliche Zurückhaltung ab, schenkt dem Heizer vom Boogie-Express immer wieder Zwischenapplaus und ergötzt sich an den ausgefallenen Bassläufen und den ekstatisch-wilden Trillern. Gut zwei Stunden dauert die nächtliche Fahrt, während der Zwingenberger ein ums andere Mal den Kessel mit seiner Musik füllt, um den Groove des Boogies zu feiern und sich von diesem vorantreiben zu lassen. Wohin? Wen interessiert's. Es ist schließlich die Reise, die zählt. Und nicht ihr Ende.

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