Adrienne Haan: Knappe Reise in die 20er Jahre

Die Weimarer Republik ist näher, als man glaubt, oft nur einen Ton entfernt. „Irgendwo auf der Welt ist ein kleines bisschen Glück“ – und schon ist man im Berlin der 20er Jahre, in der Kulturhauptstadt jener Epoche zwischen zwei Weltkriegen, in der sich alles änderte. Eine ganze Generation junger Männer war entweder auf den Schlachtfeldern gefallen oder von diesen traumatisiert, die alte Ordnung lag in Trümmern und die Frauen das entstehende Vakuum füllten. Es war eine Zeit der Trauer, aber auch eine des Aufbruchs und der Emanzipation, eine Zeit, in der Musik, Kunst und Literatur aufblühten und neue Wege gingen. Ihr hat sich Sängerin Adrienne Haan verschrieben, die in der Lounge des Pantheon Theaters gemeinsam mit Pianist Heinz Walter Florin Chansons und Couplets präsentierte und dem Publikum zugleich einen kleinen historischen Abriss bot.

Haan ist in Bonn keine Unbekannte, hat sie doch einige Jahre in der Bundesstadt gelebt. Längst ist sie international erfolgreich, ist 2015 sogar in der Carnegie Hall aufgetreten und hat unter anderem mit dem Jerusalem Symphony Orchestra, der WDR Bigband und den Frankfurter Sinfonikern konzertiert. Doch der kleine, intime Rahmen einer Kabarett- oder Varieté-Bühne steht ihr immer noch am besten. Dann nämlich kann sie die Freizügigkeit jener kurzen Ära aufgreifen, kann ältere Männer zu ihren Johnnys machen und sich selbst als verruchte femme fatale inszenieren. Ja, manchmal wirkt dies übertrieben, aber irgendwie gehört das auch dazu, wenn man der „göttlichen Dekadenz“ gerecht werden will. Adrienne Haan singt eben nicht nur, sie spielt immer auch, mal mit den Geschlechtern („Maskulinum-Femininum“ von Mischa Spoliansky), dann wieder mit den Frauenrollen. Im Pantheon sorgte vor allem ihre bitterböse Interpretation von Brechts „Seeräuber-Jenny“ für Begeisterung. Davon hätte das Publikum gerne mehr gehört. Leider zog Haan aber nach gerade einmal 70 Minuten einen Schlussstrich. Noch ein paar Worte zur politischen Situation 100 Jahre nach dem Ende des Ersten Weltkriegs, mit einer klaren Position gegen rechte Tendenzen in und außerhalb der Europäischen Union, dann war die kurze Zeitreise vorüber. Schade. Die Gäste hätten sicherlich noch ein wenig mehr verdient.

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