Procol Harum: Rock einmal ganz klassisch

Es gab eine Zeit, an der kein romantischer Abend ohne „A Whiter Shade of Pale“ auskam. Die Kuschelhymne mit der berühmten, an Johann Sebastian Bach angelehnten Orgel-Partie schallte Ende der 60er Jahre aus jedem Schlafzimmer-Lautsprecher und machte Procol Harum über Nacht weltberühmt. An diesen ersten Erfolg konnte die britische Band seitdem nicht mehr anknüpfen, wurde von ihren ebenfalls mit Klassik und Bluesrock jonglierenden Zeitgenossen überragt, verlor sich zwischen der Wucht von Deep Purple, dem Wahnwitz von King Crimson und dem mit klassischen Referenzen überfließenden Spiel von Jethro Tull. Doch bei einem Konzert im Bonner Brückenforum hat sie nun eindrucksvoll bewiesen, dass sie mehr in petto haben als nur diesen einen Hit. Viel mehr.

Über 50 Jahre haben Procol Harum nun schon auf dem Buckel, haben sich schon mehrfach aufgelöst und können es doch einfach nicht lassen. Zum Glück. Im vergangenen Jahr hat das Quintett sogar ein neues Album aufgenommen, mit dem es derzeit auf Tour ist und das durchaus Lust auf mehr macht. Dank „Novum“ klingt die Band fast noch rockiger als zu ihrer Blütezeit, ist linearer, stringenter, klarer. Passt nicht, könnte man jetzt sagen, gerade die elaborierten, komplexen Kompositionen machten Procol Harum immerhin aus – doch gerade in der Mischung aus Altem und Neuem wirkt die Musik erstaunlich frisch und lebendig. Auf der einen Seite bricht sich die Freude am Surrealen und Absurden Bahn, wenn die Gitarre bei dem Klassiker „A Salty Dog“ Möwenschreie imitiert, die Band beim „Novum“-Titel „Neighbours“ in nachbarschaftliche Streitigkeiten ausbricht oder die Musik im fast schon parodistischen „Grand Hotel“ irgendwann gar in Richtung eines russischen Tangos abgleitet; auf der anderen Seite können auch relativ schlichte Balladen wie „The Only One“ das Publikum berühren.

Dafür ist nicht zuletzt Sänger und Pianist Gary Brooker verantwortlich, der als letztes Gründungsmitglied das Herz der Band bildet und der mit ihr in Würde gealtert ist. Ja, seine Stimme ist nicht mehr ganz so geschmeidig wie einst, hat in den Höhen ihre Leichtigkeit verloren, ist rauer geworden, kantiger, bluesiger – doch gerade das steht Brooker hervorragend, zumal sowohl sein Charisma als auch seine Energie ungebrochen sind. Dazu dann der Rest der Band: Geoff Dunn gibt vom Schlagzeug aus schöne Impulse nach vorne, ebenso wie Bassist Matt Pegg, der mitunter auch ganz schön über die Saiten jagen muss; Gitarrist Geoff Whiteborn setzt immer wieder solistische Akzente; und Keyboarder Josh Phillips sorgt immer wieder für den markanten Orgel-Sound, der Procol Harum stets ausgezeichnet hat.

Trotz jeder Menge starker Songs mit so mancher Verbeugung vor der Klassik (ganz aktuell beim sakral angehauchten „Sunday Morning“, das auf dem Pachelbel-Kanon aufbaut) führt aber letztlich kein Weg an „A Whiter Shade Of Pale“ vorbei. Nach gut zwei Stunden ist es endlich soweit. Für die Zugabe erklimmt Gary Brooker noch einmal die hohen Tenor-Lagen, packt alles an Kraft und Dramatik aus, was noch in ihm steckt. Und das ist eine Menge. Ein euphorisierendes Finale, das das Publikum von den Sitzen reißt und zu stehenden Ovationen bewegt, die Procol Harum mehr als verdient haben. Und zwar nicht nur für einen einzigen Song.

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