Große Gesten, ein schnarrendes Timbre und ganz viel Gefühl: Wenn Evi Niessner den Spatz von Paris verkörpert, so überaus exaltiert und doch so verletzlich, kann sich kaum jemand der Magie des Moments entziehen. Édith Piaf, die große Diseuse von der kleinen Gestalt, ist bis heute die Inkarnation des französischen Chansons und eine schillernde Persönlichkeit, die mit ihrem Privatleben fast für ebenso viel Aufsehen sorgte wie mit ihrer Musik. Zahllose Geschichten ranken sich um sie, zeichnen sie als Hure und Heilige, Hexe und Diva. Vieles davon stimme, betont Niessner im Pantheon, wo sie ausnahmsweise solo auftritt – doch will man wirklich wissen, was Wahrheit ist und was Legende? Denn das ist die Piaf ohne Frage, unsterblich gemacht durch ihren Gesang und durch ihre Leidenschaft, für ihre Kunst und für ihre Männer.
Niessner schwelgt in beidem. Die Chansons singt sie mit der ihr eigenen Grandezza, und so erzählt sie auch aus dem harten Leben der Piaf. Von der Mutter verlassen, aufgewachsen erst im Hurenhaus
ihrer Großmutter, dann auf der Straße mit ihrem gewalttätigen und trunksüchtigen Vater, der sich als Schlangenmensch im Zirkus verdingte. Mit 15 dann die ersten Engagements in einem Pariser
Kabarett, mit 16 schwanger, mit 20 die erste Platte, später dann der große Durchbruch. Niessner erzählt all dies mit großem Pathos, ganz im Stil einer Zirkusdirektorin, in deren Outfit sie auch
zu Beginn der Show auf die Bühne kommt. Das harte Schicksal als Jugendliche oder auch die Beziehung mit Boxweltmeister Marcel Cerdan, dessen Tod bei einem Flugzeugabsturz Édith Piaf in eine
schwere Krise stürzt, werden aufgebauscht und ausgestaltet zu einem Feuerwerk der Emotionen, die mitunter etwas zu überbordend erscheinen.
Andererseits will Evi Niessner die Piaf nicht vorführen, drückt ihr eben nur ihren eigenen Stempel auf. Und zumindest musikalisch funktioniert das hervorragend. Die ausgebildete Opernsängerin
adaptiert, statt zu kopieren, und wird den Chansons so durchaus gerecht. „Padam padam“ kommt ebenso an wie das verzweifelte „Mon Dieu“, das Niessner allerdings fälschlicherweise an Piafs Trauer
um Cerdan knüpft, auch wenn dazwischen gut ein Jahrzehnt liegt. Auch andere bekannte Lieder der Diva erklingen, und mit „Youkali“ sogar ein Titel, den die Piaf leider nicht gesungen hat, obwohl
er so gut zu ihr gepasst hätte. Kurt Weill hat ihn Mitte der 30er Jahre im französischen Exil geschrieben, in einer Zeit also, als es ihm nicht sonderlich gut ging und in dem die Sehnsucht nach
einem Land der Hoffnung ihn prägte. Der „traurigste Tango der Welt“ hätte Piaf durchaus zugesagt, und so traut sich Evi Niessner denn auch, ihn ihr post mortem ins Repertoire zu übereignen – was
angesichts der großartigen Darbietung eine gute Entscheidung ist. Ansonsten bleibt sie aber bei jenen Liedern, die Piaf berühmt gemacht haben, inklusive des ewigen „Non, je ne regrette rien“, das
ein bemerkenswertes Konzert beschließt.
Kommentar schreiben