Stimmrausch: Standards in alten Gewändern

Eigentlich machen Jazz-Standards ja alles mit. Wilde, exaltierte Soli, die sich meilenweit von den Ursprungsmelodien entfernen und nur noch durch die Erinnerung mit selbigen verknüpft sind, vertragen die beliebten Klassiker von Cole Porter, George Gershwin und Nino Rota ebenso wie Rock-, Blues- und Funk-Übersetzungen. Nicht alles gefällt, aber alles darf. Na ja, fast alles. Das Bonner Duo Stimmrausch hat nun im Kammermusiksaal des Beethovenhauses die Broadway-Songs in ein klassisches Gewand gepresst, hat sie mit Koloratur-Ansätzen und schmetterndem Belcanto in Arien verwandelt – und es damit in so manchen Momenten schlichtweg übertrieben.

Man kann einen klassischen Sänger ja ohne weiteres aus einer Oper holen, heißt es, doch nur selten die Oper aus einem klassischen Sänger. Mit einer anderen Gesangstechnik tun sich die meisten schwer, so wie jetzt auch der Tenor Marc Horus und seine Gattin Yanar Aporta. Dabei müssten gerade sie es eigentlich besser können, sind sie doch beide in Bonn ansässige Opernsänger und Gesangslehrer, die sich derzeit in verschiedenen eigenen Produktionen der populären Musik widmen. Und das auf ihre ganz eigene Art und Weise: Sie konstruieren Singspiele voller Evergreens und einer rudimentären, klischeehaften Handlung, innerhalb derer sich ihre Stimmen voll entfalten dürfen. Kann man ja machen, zumal manche Titel wie etwa „Unforgettable“ oder „The Very Thought Of You“ einen pathetisch dröhnenden Vortrag durchaus vertragen. Ob man dabei allerdings von einer authentischen, entstaubten und hochmodernen Darbietung sprechen sollte, so wie es Horus und Aporta auf ihrer Webseite tun? Eher nicht. Erst recht nicht, da ihrem Vortrag ansonsten sämtliche Spielarten und Varianten fehlen, die in den vergangenen 100 Jahren Eingang in Jazz, Blues, Rock und Pop gefunden haben. Kein frecher Tonfall, kein verruchtes Timbre, kein warmes Crooner-Organ, kein kehlig-rauer Ansatz findet sich in ihren Stimmen, kurzum keine Ecken und Kanten, abgesehen von ein paar unnötig grellen Soprantönen in ohrenbetäubendem Fortissimo. Kann man ja so machen. Aber manchen Stücken wird man damit einfach nicht gerecht. Warum klingt „Diamonds Are A Girl's Best Friends“ auf einmal bemüht, „My Heart Belongs To Daddy“ aufgesetzt, „It Ain't Necessarily So“ bar aller erdigen Blue-Notes? Wäre da ein bisschen stimmliche Wandlungsfähigkeit wirklich zu viel verlangt?

Ohnehin ist der artifizielle Charakter der Veranstaltung sein wahrscheinlich irritierendstes Element. Und das bezieht die grob skizzierte Geschichte zweier Diebe mit ein, die sich natürlich unweigerlich ineinander verlieben, diesen Gefühlen aber nicht trauen und daher am Ende nach einem schwülstigen Romeo-und-Julia-Moment tot nebeneinander liegen. Die meisten Opern-Libretti lassen grüßen. Doch damit gewinnt man heutzutage noch nicht mal einen Blumentopf, zumal Horus und Aporta auch ihre Gestik und Mimik derart übertreiben, dass es in dem kleinen Kammermusiksaal schlichtweg lächerlich wirkt. Das Publikum zeigt sich dennoch begeistert und bejubelt zwei Sänger, die in ihrem Fach durchaus versiert sind, an diesem Abend aber irgendwie fehl am Platze wirken. Ihre Kunst harmoniert eben nur bedingt mit den Standards und ist selbst für den Broadway zu künstlich. Zumindest in Bonn sind aber 2018 ohnehin keine weiteren Aufführungen von „Everybody loves Somebody“ geplant.

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