„Weißes Kaninchen, rotes Kaninchen“: Experimentelle Fabel

Was kann man über ein Stück schreiben, dessen Handlung eigentlich ein Geheimnis ist? Ein Stück, das nur Eingeweihte wirklich verstehen und das doch bei jeder Aufführung neu ist? Ein Stück, das jeder Schauspieler nur ein einziges Mal aufführen kann, nämlich nur solange er ebenfalls zu den Unwissenden gehört? Was kann, soll und darf man über „Weißes Kaninchen, rotes Kaninchen“ schreiben?

Nun, zunächst einmal kann man betonen, dass dieses Theaterexperiment des iranischen Autors Nassim Soleimanpour im Bonner Euro Theater Central eine beeindruckende Premiere feiern konnte, und das obwohl das Haus zuletzt einen weiteren Tiefschlag verkraften musste. Immerhin hat sich der Kulturausschuss der Stadt in seiner letzten Sitzung zwar explizit hinter das Beethovenfest und andere Kultur-Institutionen gestellt, zugleich aber empfohlen, den Zuschuss für das beliebte Zimmertheater ein Jahr vor dessen 50. Geburtstag zu streichen. Somit steht das Euro Theater Central in seiner jetzigen Form wohl vor dem Aus – doch aufgeben will das Haus auch jetzt nicht. „Weißes Kaninchen, rotes Kaninchen“ passt dazu hervorragend, ist dieses Stück doch selbst eine Form des Protests gegen sämtliche Einschränkungen von Freiheit und Nonkonformität. Soleimanpour schrieb das Stück 2010, nachdem er aufgrund seiner Verweigerung des iranischen Wehrdiensts keinen Pass erhielt und nicht reisen durfte. Sein Text lässt sich dagegen nicht aufhalten, überschreitet munter Grenzen und stellt überall die Frage nach Macht und Vertrauen. Wie lässt sich wein Schauspieler auf einen völlig fremden Text ein? Wie weit ist er oder sie bereit zu gehen? Und wie reagiert das Publikum?

Im Euro Theater eröffnet Eva Scheurer den Reigen der Darsteller, die im Laufe der kommenden Monate diese Erfahrungen machen und ganz ohne Netz und doppelten Boden vor das Publikum treten werden. Sie geht offen mit ihrer Unwissenheit um, stellt sich auf eine Ebene mit den anderen Anwesenden und schafft damit eine bemerkenswerte Intimität, die durch die Enge des Raumes noch verstärkt wird. In einem anderen Theater würde dieses Stück nicht funktionieren – doch um ihren Ensembles die Möglichkeit zu gewähren, sich ebenfalls auszuprobieren, haben sich das Junge Theater Bonn sowie das Theater Bonn als Kooperationspartner zur Verfügung gestellt und zeigen damit zugleich ihre Solidarität mit dem Haus am Mauspfad. Unter anderem werden bis zum Ende des Jahres noch Holger Kraft, Katharina Felschen, Andreas Etienne, Rudolf Kowalski und Alexandra Kamp als „Kaninchen“ zu sehen sein.

Scheurer legt die Messlatte auf jeden Fall hoch an. Mitunter vergisst man, das sie das Skript wirklich erst auf der Bühne erhalten hat, zumal es ihr mühelos gelingt, das Publikum zu willigen Mitspielern zu machen, die ihr in dem ebenso skurrilen wie erschreckenden Gedankenexperiment Soleimanpours den Rücken stärken. Gemeinsam begeben sie sich unter die Kontrolle des Autors, lasen sich auf ihn ein und verleugnen doch dabei zu keinem Zeitpunkt die Verantwortung für ihr eigenes Handeln innerhalb des Stücks. Seinen Anweisungen muss man eben nicht einfach aus einem Hörigkeitsgefühl heraus Folge leisten, sondern in vollem Bewusstsein um die Konsequenzen, die dies haben oder eben nicht haben könnte. Ein derartiges Experiment kann – nicht nur aus Platzgründen – nur im Euro Theater stattfinden, das damit seine besondere Stellung innerhalb der Bonner Kulturlandschaft eindrucksvoll unter Beweis stellt. Es zu schließen, um zumindest ein Bauernopfer vorweisen zu können, zeugt denn auch von bemerkenswerter Blindheit.

Kommentar schreiben

Kommentare: 0