Alles ist im Fluss. Takt, Rhythmus, Stilistik, nichts ist bei Steven Wilson wirklich von Dauer. Die Unbeständigkeit ist sein Markenzeichen, dieser ständige Drang, sich neu zu erfinden und andere Wege zu beschreiten. Auf dem Bonner KunstRasen hat der Meister des Progressive Rock nun ein Konzert gegeben, in dem er sämtliche Aspekte seines künstlerischen Schaffens präsentierte, eine glitzernde Facette nach der anderen, bis dem Publikum angesichts der musikalischen Brillanz ganz ergriffen war. Und zumindest ein kleines bisschen verwirrt. Denn gerade wenn es glaubte, Steven Wilson verstanden und seine Sprache erschlossen zu haben, kam dieser mit neuen Spielereien um die Ecke – und steigerte den Hörgenuss weiter.
Nur rund 1800 Besucher waren an dem anfangs von Regenschauern überschatteten Abend auf das Gelände in den Rheinauen gekommen, eigentlich viel zu wenige für das, was in rund zweieinhalb Stunden geboten wurde. Andererseits gehört Steven Wilson eh zu jenen Künstlern, die eher im Schatten agieren und von der breiten Masse kaum wahrgenommen werden. Auch wenn Musiker wie er einfach mehr verdient hätten. Viel mehr. Nicht umsonst gilt Wilson unter Kennern als einer, der sowohl im Rock- als auch im Pop-Olymp seinen Platz gefunden hat und zwar zu Vorbildern wie Prince und David Bowie aufschaut, ihnen in seinen besten Momenten aber durchaus auf Augenhöhe begegnet. Seine Stücke haben alles, was man von Musik erwarten kann, sind mal eingängig, mal komplex, haben Tiefgang und zugleich eine fantastische Entspanntheit. Gerade das aktuelle Album „To The Bone“ mag dem ein oder anderen Hardcore-Fan etwas zu poppig und nett wirken, doch das täuscht, verbergen sich hinter der leichtgängigen Oberfläche doch meisterhaft konstruierte Songs mit politischen („Refuge“) und sozialkritischen („People Who Eat Darkness“) Inhalten. Im Konzert pflegte Wilson zudem seine härtere Seite mit großer Leidenschaft, hämmerte gleich am Anfang mit „Home Invasion“ den zuvor eingelullten Fans wuchtige Gitarren und bedrohliche Drums um die Ohren und versank auch im weiteren Verlauf immer wieder in exzessiven Soli im Spannungsfeld zwischen dionysischer Ekstase und apollinischem Geist.
Erfreulicherweise blieb Wilson nicht nur auf die Stücke seiner Solo-Karriere beschränkt, sondern griff auch den ein oder anderen Hit seiner Band Porcupine Tree auf, darunter die bezaubernde Ballade „Lazarus“ und das in chtonischen Schattierungen daherkommende „The Sound of Muzak“. Dazu kam das Titellied seines Akustik-Projekts „Blackfield“ – ein weiteres Highlight eines überragenden Konzerts, bei dem alles anders blieb, nahezu sämtliche Farben des musikalischen Spektrums verwendet wurden und die stilistische Achterbahnfahrt Nervenkitzel und Ästhetik für jeden bot. Bedauerlich war lediglich, dass aufgrund technischer Beschränkungen statt einer Videowand über die gesamte Bühnenbreite auf eine kleinere Ausführung zurückgegriffen werden musste, so dass die Multimedia-Show Wilsons ebenso wie die im Tageslicht unnötige Licht-Malerei nur bedingt zur Geltung kam. Dem Publikum reichte es jedoch aus – es feierte Wilson euphorisch und verbeugte sich vor einem Künstler, den man nicht hoch genug schätzen kann.
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