Jazzfest Bonn: Kontraste in Groove und Stil

Die Grenzüberschreitung und die Dekonstruktion von Konventionen sind zwei der Kerngedanken des modernen Jazz – ebenso wie die Frage, was eigentlich alles zu diesem amorphen Genre dazugehört und was, je nach Standpunkt, entweder als zu abgedreht oder aber zu angepasst gilt, um noch Jazz zu sein. Diese Aspekte schwangen am vergangenen Wochenende bei zwei Doppelkonzerten im Rahmen des Bonner Jazzfests mit, in denen die Organisatoren einmal mehr auf Kontraste setzten und Vertreter der eher klassischen Spielarten mit einem avantgardistischen Saitenvirtuosen und einer eher düster-poppig klingenden Sängerin zusammenbrachten. Was mal mehr und mal weniger gut ankam.

Die Brotfabrik stand am Freitag ganz im Zeichen der Gitarre. Und doch hätte der Abend kaum unterschiedlicher sein können: Auf der einen Seite das Formen und Rhythmen bewusst dekonstruierende Lage Lund Trio, auf der anderen das konventionell und wunderschön spielende Duo aus Jazzlegende Philip Catherine und Bassist Martin Wind. Letzteres setzte genüsslich auf jene klaren Linien, von denen sich der Norweger Lage Lund ganz gezielt distanzierte, um seinen eigenen Weg zu gehen, seine Mitspieler Matt Brewer (Bass) und Jonathan Blake (Drums) zwar nicht ignorierend, sie aber sehr wohl auf einer Armlänge Abstand haltend. Es schien so, als hätten die drei ein gemeinsames Ziel, aber nicht immer einen gemeinsamen Weg: Vor allem Lund und Blake lagen immer wieder über Kreuz, waren überall nur nicht zusammen, zumindest beim Groove eher rivalisierend als kooperierend. Während der stoische Norweger ein Ornament um das nächste schlang, hämmerte der Amerikaner mit fast schon animalischer Wucht auf sein Instrument ein und verschwand dabei in ganz eigenen Sphären.

Ein derartiger Ansatz wäre bei Catherine und Wind undenkbar gewesen. Die beiden Ausnahmemusiker verstanden sich blind, warfen sich die Melodien mühelos zu und verloren sie dabei nie aus den Augen. Das Duo diente eben den Stücken, nicht umgekehrt. Große Experimente machten sie daher nicht, brauchten sie aber auch nicht zu machen – immerhin hat vor allem Philip Catherine die optimalen Soli und Variationen längst in seine DNA aufgesogen, und auch wenn er mitunter damit kokettierte, dass er alles mögliche vergessen würde (inklusive der Gitarre, die beinahe im Hotel geblieben wäre), gilt dies doch ganz sicher nicht für den Jazz.

Mit diesem hatte Julia Biels Auftritt im Haus der Geschichte derweil nur am Rande zu tun. Die Sängerin mit dem faszinierenden Organ verharrte zumindest in den ersten zwei Dritteln des Konzerts vielmehr im melancholischen Indie-Pop samt recht vorhersehbarer Arrangements und verließ sich ganz auf die Wirkung ihrer Stimme. Diese wird gerne mal irgendwo zwischen Björk und Amy Winehouse eingeordnet – zu Recht, wie man an diesem Abend merkte, auch wenn Biel weder über die Experimentierfreudigkeit ersterer noch über die Klangfülle letzterer verfügt. Immerhin öffneten sie und ihre Band sich aber gegen Ende des Konzerts, wurden spannender, kontrastreicher, eigensinniger, gewannen an Profil und setzten schließlich mit Nina Simones „Feeling Good“ einen angemessenen Schlusspunkt.

Das Publikum machte jedoch aus seinen Präferenzen kein Geheimnis: Tosender Applaus brandete erst auf, als schließlich das Wolfgang Haffner Quartett auf die Bühne kam und eine meisterhafte Komposition nach der nächsten spielte. Starke, vielseitige Stücke, eine brillante Dynamik und herausragende Musiker mit Jazz im Blut und in den Fingern – mehr konnte man nicht verlangen. Neben Haffner, ohnehin einer der besten deutschen Drummer mit einem unglaublichen Gespür für Melodien, sorgte vor allem Vibraphonist Christopher Dell mit seinen zahlreichen Soli für Jubelstürme, während Roberto Di Gioia und Christian Diener an Klavier und Bass für die nötige Basis sorgten. Der Fokus lag dabei, neben der ein oder anderen Verbeugung vor Haffners Helden wie Al Jarreau und Joe Zawinul, auf dem aktuellen Album „Kind of Spain“ mit seinen Flamenco- und Pasodoble-Anklängen – und was der 52-Jährige etwa aus dem traditionellen „Tres Notas Para Decir Te Quiero“ zauberte, war reine Magie. Und Jazz in Perfektion. Womit zumindest eine der Fragen vom Anfang beantwortet wäre.


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