Erwin Pelzig: Die Wahrheiten eines Träumers

Unten der Stuhl, oben der obligatorische Cordhut – und dazwischen die Wahrheit. Oder zumindest Schnipsel derselben, die in der Bonner Oper nur so aus dem Mund von Erwin Pelzig purzeln. Denn was ist schon die Wahrheit, gerade im postfaktischen Zeitalter, in dem man auch schon mal das Publikum fragen sollte, ob es noch mehrheitlich an die Schwerkraft glaubt? Ist doch ohnehin alles Ansichtssache beziehungsweise eine Glaubensfrage. Mag ja sein. Andererseits versteht es der Franke, der vielen noch aus „Neues aus der Anstalt“ ein Begriff sein müsste, derart eloquent und tiefsinnig die gesellschaftspolitischen Probleme zu diskutieren, dass man ihm einfach nur zustimmen kann. Ihm, dem Träumer, der sich durchaus noch eine bessere Welt vorzustellen vermag, zugleich aber mit der Realität konfrontiert wird und sich als einer ihrer besten Kritiker entpuppt.

Letztlich nutzt Pelzig, hinter dem sich der Journalist und Kabarettist Frank-Markus Barwasser verbirgt, eine leicht abgeänderte Form der von ihm eigens vorgestellten Walt-Disney-Methode. Eigentlich, so erklärt er, braucht man dafür drei Stühle: Einen, auf dem man sich der Freiheit des kreativen Denkens hingeben darf; einen, auf dem man die Träume dekonstruiert; und einen, der die beiden gegensätzlichen Positionen abwägt. Dumm nur, dass in Pelzigs VW Jetta lediglich eine dieser Sitzgelegenheiten passt. Nämlich der Träumerstuhl, auf dem er immer wieder gerne Platz nimmt und den er unter anderem auch Facebook-Gründer Mark Zuckerberg oder dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan anbietet. Dort können Visionen entstehen, gute wie schlechte – doch immerhin versteht Pelzig es, diese auch mal auf Kohärenz zu untersuchen, während er gleichzeitig aktuelle Probleme analysiert. Populismus und Landflucht, Zorn und Hass in den sozialen Netzwerken, das Leben in der Filterblase und die Gier der Konzerne, all das hängt ja schließlich irgendwie zusammen. Und Pelzig bemüht sich, dieses Geflecht zu verstehen. Aufklärung, das ist sein Traum. Für alle. Wissen um die Zusammenhänge, verbunden mit der Hoffnung, etwas ändern zu können. Zumindest im Kleinen. Etwa indem man den Ängsten der Menschen die eigene Respektlosigkeit entgegenrotzt, statt sie durch Fake News noch weiter anzufachen.

Dabei ist auch Pelzig nicht frei von Wut. Oh, aufregen kann er sich trefflich, über Trump, die CSU und all die lupenreinen Demokraten, die gerade dabei sind, die Rechtsstaatlichkeit zu dekonstruieren und die Bevölkerung mit verbalen Sofakissen zu beruhigen. Es wird wieder alles so wie früher, als sich niemand Sorgen machen musste – glaubt das wirklich jemand? Wie denn angesichts des Internets der Dinge und der Big-Data-Sammelwut der Konzerne, angesichts der immer größer werdenden Vernetzung und der Optimierung der Robotik, die Pelzig – ebenso wie seine fiktiven Stammtisch-Kumpane Hartmut und Dr. Göbel – sowohl als Gefahr als auch als Chance wahrnimmt? Kann man all das einfach ignorieren? Nein, sagt Pelzig. Und beginnt wieder zu träumen. Von einem Homo sapiens, der diesem Begriff endlich einmal gerecht wird, statt mit Mini-Nukes und Glyphosat zu jonglieren, als wären es Globulis. Das wäre doch mal eine Entwicklung, die es in sich hätte. Vielleicht irgendwann. Bis dahin wird sich Pelzig aber weiterhin auf die Bühnen dieser Welt stellen, mit einem Stuhl, der eigentlich für drei steht, und die Aufklärung selbst in die Hand nehmen. Zum Glück. Denn unter den derzeit möglichen Perspektiven ist diese zumindest für das Kabarett die beste.

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