Eigentlich will Parzival Pech (Matthias Breitenbach) nur helfen. Einfach nur ein kleiner Funke der Freundlichkeit und Menschlichkeit in einer immer egoistischeren Welt sein. Er ist der gute Geist der Nachbarschaft, der immer einen Stabmixer zur Hand hat, rechtzeitig vor der Fußball-Übertragung das Internet reparieren kann und alle in seiner Umgebung mit selbst gebackenem Brot und Kuchen versorgt. Eine treue Seele, die sich gerne ausnutzen lässt und genau deswegen auch geduldet wird. Bis er auf Irma Pfeifer (Lydia Stäubli) trifft. Das Jugendamt hat der jungen Mutter ihre Tochter weggenommen, angeblich weil sie nicht oft genug warm gekocht hat. Ein Skandal, meint Pech, stürzt sich in den Kampf gegen diese Ungerechtigkeit – und bringt damit nicht nur seine Nachbarn gegen sich auf.
Nach „Draußen rollt die Welt vorbei“ ist „Supergutman“ das zweite Auftragswerk von Lukas Linder für das Theater Bonn, eine gesellschaftskritische Groteske, die mit gnadenlos überzeichneten
Bildern von Superhelden in Satin-Morgenmänteln und Brot-Rüstungen die Frage nach der Subjektivität des Gerechtigkeitsempfindens stellt. Die Wahrheit spielt dabei nur eine untergeordnete Rolle.
Nicht umsonst hat Regisseurin Clara Weyde die fünf Figuren auf der Werkstatt-Bühne in eine Szenerie gesteckt, die sowohl Reihenhaussiedlung als auch Irrenanstalt sein kann, in der die Absurdität
zur Normalität wird und der Wunsch der Vater des Gedankens ist. Gleichzeitig gelingt es dem Stück, eine dystopische Spannung zu kreieren, die Mechanismen einer Gesellschaft zu zeigen, die sich in
erster Linie um sich selbst schert und die einzig dem persönlichen Urteil traut. So wird letztlich jeder zu Geschworenem, Richter und Henker – und vor allem Parzival Pech, dieser eigentlich
liebenswerte Ritter im Narrenkostüm, zu einem Verschwörungstheoretiker, der sich von allen verraten fühlt. Ob er dabei tatsächlich ein missverstandener Rächer der Entrechteten ist oder nur ein
fehlgeleiteter Irrer, lässt „Supergutman“ ganz bewusst offen. Und funktioniert gerade deswegen so hervorragend.
Zugegeben, der inszenatorische Wahnsinn ist nicht immer leicht zu verkraften, vor allem gegen Ende, als bei einer verzerrten Talkshow alle Dämme reißen. Dem herausragenden Ensemble gelingt es
jedoch zum Glück immer, die Spannung zu bewahren und selbst mit kleinen Gesten eine große Wirkung zu entfalten. Neben dem herrlich unschuldig spielenden Matthias Breitenbach sticht vor allem
Bernd Braun hervor, der als Frau Werner scheinbar kein Wässerchen trüben kann und doch als erster die Maske eines Superhelden aufsetzt, um im Revier für Ordnung zu sorgen. Wilhelm Eilers
begeistert derweil als bärbeißiger Herr Werner (als Jugendamtsleiter Roy der Erzfeind von Supergutman Parzival Pech), Johanna Falckner als Katzen-Fetischistin Frau Zuber und Lydia Stäbli als die
das Chaos auslösende Irma Pfeifer, deren löchrige Geschichte einfach nicht verifiziert oder widerlegt werden kann, so dass jeder Zuschauer selbst entscheiden muss, ob er mit ihr leidet oder sie
als Rabenmutter ansehen will. Die Wahrheit ist subjektiv. Und letztlich ohne Belang. Denn inmitten der grotesken Schlacht aus Brot und Böse ist sie das erste Opfer.
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