Silje Nergaard: Die Wiederentdeckung des Grooves

Keyboard-Sounds wabern durch den Raum. Psychedelische Klangteppiche, die mitunter an Walgesänge erinnern, breiten sich über einem Groove aus Bass und Schlagzeug aus, der die Stücke nach vorne treibt und der zuletzt schmerzlich vermisst wurde. Ja, so überraschend hat Silje Nergaard schon lange nicht mehr geklungen. Die norwegische Sängerin war in den vergangenen Jahren tief in der Geruhsamkeit ihrer eigenen Balladenwelt versunken, ließ den Biss vermissen, der sie einst aus der Masse der skandinavischen Jazz-Schönheiten hervorhob. Doch den hat sie nun wiedergefunden, zusammen mit einem abwechslungsreichen Musikstil, der sich irgendwo zwischen elektronischem Neo-Folk-Pop und veritablem Jazz verordnen lässt und der doch in jedem Ton nach Nergaard klingt.

Die neue Band scheint Nergaard gut zu tun. Keyboarder Andreas Ulvo übertreibt es zwar gerne mit den Effekten und leider auch mit der Lautstärke, so dass es in der Harmonie öfters mal wummert und dröhnt statt schön klingt – zumindest bringt er aber einige kreative Ansätze ein, verlässt sich nicht auf althergebrachte Klänge, sondern experimentiert. Und liefert immer wieder unerwartete Ergebnisse. Der exzellente Bassist Audun Erlien, der Silje Nergaard schon bei ihrem Debütalbum vor nunmehr 27 Jahren unterstützt hat, sowie Drummer Wetle Holte sichern diese Versuche nach besten Kräften ab, auch wenn sie manchmal die wiederentdeckten Grooves an den seltsamsten Stellen unterbrechen. Egal. Im Prinzip funktioniert die Musik ja, nicht zuletzt natürlich dank Nergaards bezauberndem Sirenengesang, der so klar ist wie eh und je.

Die gewonnene Vielfalt spiegelt sich auch inhaltlich wieder. Für ihre Lieder hat sich Silje Nergaard von Schicksalen auf der ganzen Welt inspirieren lassen, von einem koreanischen Paar zum Beispiel, das durch die Grenze zwischen den beiden Landesteilen seit Jahrzehnten getrennt ist und sich dennoch treu bleibt. Oder von einem einfachen Kokosnuss-Verkäufer, den sie bei einem Sizilienurlaub kennenlernte. Diese Menschen aus aller Welt sind die Quelle für Nergaards aktuelles Album „For You A Thousand Times“; sie verleihen der Blondine neue Kraft und erlauben ihr, wieder an den treibenden Groove von "Tell Me Where You're Going" anzuknüpfen, jenem Song von 1990, den Nergaard zusammen mit Pat Metheny aufnahm und der ihren Weltruhm begründete. Zugegeben, nicht jeder neue Song trifft ins Schwarze, vor allem wenn er mit Effekten überladen ist. Aber das kann man ja ändern. So lange der Schwung stimmt. Und den hat Nergaard tatsächlich wiedergefunden.

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