„Immigro Ergo Sum“: Fragen des Ich

Drei Geschichten, drei Sprachen, drei Identitätskrisen: Journalist und Hausmann Adamo sowie Lehrerin Eva kämpfen in ihrer Beziehung mit Geschlechterrollen; Transgender Amina führt ein Zwiegespräch mit den beiden Seelen in seiner beziehungsweise ihrer Brust; und ein verspieltes Ich lockt Friedrich den Großen in einen philosophischen Diskurs über Erwartungen und Selbstdarstellungen. Wer bin ich, und wenn ja, wie viele – dieser Frage hat sich das deutsch-französisch-italienische Theaterensemble G.I.F.T. bei seiner zweiten Produktion im Euro Theater Central auf eine ganz eigene Art und Weise angenommen. Einzelne Szenen drehen sich bei „Immigro Ergo Sum“ im wilden Reigen, werden mitunter auf den Kopf gestellt oder aufgelöst und bilden so in der Regie von Eugenia Fabrizi ein Episodenstück mit vielen Blickwinkeln und einigen interessanten Ansätzen.

Die Spielfreude des Ensembles erweist sich dabei als überwältigend. Vor allem Leonie Renée Klein strahlt als unbedarftes Ich eine zauberhafte Leichtigkeit aus, während sie in der Rolle der Eva mühelos zwischen der nachdenklichen Lehrerin, die sich mit dem Macho-Gehabe ihrer Schüler auseinandersetzen muss, und der Privatperson wechselt, die sich nach der Befriedigung ihrer eigenen Bedürfnisse sehnt. Letzteres wird dabei geschickt durch Luca Paglia gespiegelt, dessen herrlich grummeliger Adamo nach Anerkennung lechzt und mit seinem Leben hadert, das den gängigen Männer-Klischees so zuwider läuft. Ähnlich ergeht beziehungsweise erging es Kaiser Friedrich II. von Preußen (Charlotte Welling), der sich nun in einer Art Nicht-Ort wiederfindet, wo „klassische Kategorien keine Bedeutung mehr haben“. Im Austausch mit dem Ich sucht er nun nach einer Möglichkeit, endlich er selbst sein zu können, ohne Angst vor Repressionen durch seinen Vater haben zu müssen. „Immigro Ergo Sum“ erhebt er zum Motto seines Daseins: „Ich immigriere, also bin ich“. Immer auf dem Weg ins dort, um ja nicht zum Augenblick zu sagen, „verweile doch, du bist so schön.“ Denn dann, so fürchtet er, wäre man nur noch wie eine Waschmaschine, die ständig läuft und nirgendwo ankommt. Doch ob das wirklich die Lösung sein kann? Immerhin macht er sich dadurch nur selbst zum Getriebenen, ohne Hoffnung darauf, sich je zu finden.

Diesen Schritt hat Amina bereits hinter sich. Heza Botto und Charlotte Welling mimen die beiden Seiten dieser Transgender-Persönlichkeit, die mit sich selbst ins Reine gekommen ist. Trotz einiger Hürden: „Ich war zehn Jahre alt, du hast mich verwirrt“, sagt die männliche zur weiblichen Seite. Das ist längst passe, der Hombre hat sich schon vor Jahren mit der „Königin, die ich in mir fühlte“ versöhnt. Nun reflektieren beide ihre Vergangenheit, blicken zurück – und machen diese Geschichte durch die beständige Erzählung zum handlungs- und spannungsärmsten Teil des Stücks. So brillant der Ansatz auch ist, fehlt hier doch eine gewisse Dynamik, die auch nicht durch wilde Verfolgungsjagden und Puppenspieler-Bilder geschaffen werden kann. Botto und Welling sind dabei allerdings Opfer des Textes, schaffen es aber zumindest, der Figur der Amina eine beeindruckende Plastizität zu verleihen. Den nötigen Schwung, sowohl hier als auch im Rest der Inszenierung, sollen derweil diverse Lieder bringen, die das Ensemble bei jedem Szenenwechsel anstimmt und die dabei gerne mal persifliert werden. Was leider mitunter ein wenig ausartet. Dennoch erweist sich „Immigro Ergo Sum“ als überaus intelligentes, unterhaltsames und innovatives Stück einer jungen Theatergruppe, die dem Euro Theater mit seinem internationalen Anspruch ohnehin hervorragend zu Gesicht steht.

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