Piet Klocke: Aphorismen eines Anakoluth-Akolythen

Autonome Automobile mit eigenem Willen, App-Wahn und Künstliche Intelligenz, die nachzudenken beginnt: Die digitale Entwicklung bereitet Piet Klocke offenbar einige Sorgen. Nichts gegen Technik – die setzt der schon sehr spezielle Kabarettist, Musiker und Liebhaber des bewusst abbrechenden Satzes (dem so genannten Anakoluth) nur allzu gerne selber ein – aber wenn das Denken ausgelagert wird, hat das mitunter eben auch Nachteile. In seinem neuen Programm „Ausdrucksdance“, dessen Inhalt mit dem Titel nachweislich in keinerlei Beziehung steht, kommt Klocke somit immer wieder auf das Potenzial und auf die Gefahren der Computerisierung zu sprechen. Kein roter Faden, wohl aber die größte Gedankenblase in dem mentalen Schaumbad eines charmanten Wirrkopfs mit Tiefgang, der genüsslich eine Idee an die nächste setzt, scheinbar Nonsens kreiert und doch mitunter zum Nachdenken anregt.

Gut, streng genommen ist es ja gar nicht Klocke, der sich auf der Pantheon-Bühne über Gott und die Welt auslässt, sondern sein Alter Ego Erward Schürer, ein Buchautor und Wissenschaftler aus dem bisher unbekannten Königreich Tolan, der nur als Vertretung nach Bonn gekommen ist. Er ist Klockes imaginäres Ich, immer wieder mit neuem Namen, aber beständigen Vorzeichen. Nicht umsonst verweist er gleich zu Anfang auf den stummen Comic-Helden Arzak (auch Arzach, Harzakc oder in einer der anderen möglichen Buchstaben-Kombinationen geschrieben) des französischen Zeichners Jean Giraud alias Moebius. Der auf einem Flugsaurier über eine surreale Traum-Landschaft fliegende Krieger ist für Schürer das, was er selbst für Klocke ist – einer, dem man so ziemlich alles in den Mund legen kann. Selbst Aphorismen. Von denen hat Klocke an diesem Abend so einige auf Lager, allesamt dem obskuren Buch „Wlancholische Rhapsodie – die Notizen des Arzak“ entnommen. „Wenn Zeit steht, wird ihr schlecht“, heißt es da. Oder „Humor kann komischerweise nur entstehen, wenn man es ernst meint“. Dazu gesellen sich Gedichte und Kurz-Essays, die vor intellektueller Brillanz zu strahlen scheinen und doch immer wieder ins Absurde abgleiten, sowie offen groteske Ideen wie die angekündigte, leider nie gezeigte Lipizzaner-Dressur. Was davon ernst gemeint ist, muss jeder für sich selbst herausfinden. Wahrscheinlich sind aber sämtliche Aussprüche das verbale Äquivalent zu Schrödingers Katze. Quanten-Pointen. Guter Witz.

Gleichzeitig kann Piet Klocke natürlich auch seine Leidenschaft für die Musik außen vor lassen. Ohne seine aus früheren Programmen beliebte Begleiterin Angelika Kleinknecht (Simone Sonnenschein), die mit ihrem Saxofon immer wieder für sonoren Genuss sorgte, muss er eben selbst in die Tasten greifen. Dank eines Samplers kein Problem. Gnadenlos mischt Klocke alles zusammen, was er so an Klängen und Sequenzen finden konnte, und scheint sich dabei bis zu einem gewissen Grad an seiner früheren EBM-Band The Tanzdiele zu orientieren. Doch auch musikalisch bleibt der Anakoluth-Akolyth sich treu, spielt nur Fragmente und wendet sich dann wieder in seiner gewohnten Assoziationswut etwas anderem zu. Zumindest kann ihm die Technik so nicht widersprechen, hat dafür schlichtweg keine Zeit. Und das Publikum? Muss sehen, wie es damit klar kommt. Im Pantheon funktioniert das auf jeden Fall gut – am Ende eines herrlich absurden Abends bedankt sich die Menge bei dem verwirrten Verbal-Chaoten mit herzlichem Applaus.

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