Pantheon-Vorleser: Die Chronologie des Absurden

Linearität ist Fiktion. Zumindest im Rahmen von Lesungen und Radiosendungen. Ein Wort, und schon ist man im Oktober oder im November, blickt auf die Zukunft zurück und plant für Weihnachten. Nun ist ein Kleinkunsttempel zur Zeitmaschine geworden: Im Rahmen der vom WDR aufgezeichneten 60. Pantheon-Lesenacht haben Gastgeber Horst Evers und seine Gäste genüsslich mit der Chronologie der Ereignisse gespielt, die Zeiten durcheinandergebracht und dabei einen humoristischen Text nach dem anderen vorgetragen. Was vor allem dank zweier ebenso trockener wie brillanter Satiriker ein tiefsinniges Vergnügen wurde.

Der für die kurzfristig erkrankte Ronja von Rönne eingesprungene Stefan Reusch sowie Dauergast Dietmar Wischmeyer setzten mit ihren mitunter mitternachtsschwarzen Beiträgen die Messlatte hoch an. Ersterer, ein selbsternannter Lebensretter der unbelesenen Massen, verteidigte vor allem das Auto als des Deutschen liebstes Kind gegen die einseitigen Subventionierungen für organischen Nachwuchs. Denn während ein PKW mit Know-How und viel Liebe zum Detail gefertigt werde, könne man dies längst nicht von jedem Balg sagen. Und was den Schadstoffausstoß angehe, könnte man auch eine gewisse Skepsis an den Tag legen. Daneben griff Reusch natürlich den Fußball auf – ein weiteres typisches Männerthema, das er aber geschickt durch den sprichwörtlichen Kakao zog. An Sprach- und Schlagfertigkeit konnte Reusch somit durchaus mit Dietmar Wischmeyer mithalten, der allerdings über eine noch feinere Themenpalette und vor allem einen größeren Dynamik-Umfang verfügte. Grandios, wie er als Schlachthof-Betreiber in einem Atemzug den Schweinen auf den Transportern sein Beileid aussprach, sich selbst lobte („aus diesem Fleisch gute Würste zu machen, das ist eine Kunst“) und ganz nebenher seine Mitarbeiter zur Sau machte. Doch auch die Abrechnung mit den notdürftig mikrofaserbedeckten Schlabbermenschen in der Sommerzeit oder eine sozialkritische Abrechnung mit der Spaßgesellschaft war großartig. „Ich bin von mir selbst erschüttert“, gestand Wischmeyer irgendwann. Das Publikum auch. Und zwar vor Lachen.

Weitaus plakativer erwiesen sich derweil die beiden anderen Gäste des Abends. Hanna Dietz setzte sich mit der neu entflammten Grill-Leidenschaft ihres Mannes auseinander und verwurstete dabei so ziemlich jedes Ehe-Klischee in ein amüsantes, letztlich aber banales und vorhersehbares Allerlei, während Moritz Netenjakob den Misserfolg mit einem Kölner Café in einen von einigen hinlänglich bekannten Figuren bevölkerten Roman umgemünzt hat und diesen nun charmant bewarb. Ist alles nett und unterhaltsam, lässt aber den Esprit für die höheren Weihen vermissen. Was ja nicht schlimm war, erhielt das Publikum so immerhin ein wenig Abwechslung und konnte nach den Höhenflügen Reuschs und Wischmeyers ein wenig Luft schnappen. Zumal Evers selbst ebenfalls einige absurde Geschichten auf Lager hatte, die für das ohnehin malträtierte Zwerchfell weiteren Muskelkater bedeuteten. Vor allem dann, wenn er den Nonsens in den Alltag zu integrieren versuchte, sorgte Evers für Begeisterung. Seine Entsorgung unliebsamer Weihnachtsgeschenke in den Läden seiner Heimatstadt und seine Versorgung von Nachbarskater Herr Wowereit, die beinahe in einer Passwortlisten-Katastrophe gemündet hätte, gehörten zu den Höhepunkten des Abends. Alle, die nicht im Pantheon waren, müssen sich nun bis zum 8. Oktober beziehungsweise bis Ende November gedulden – dann werden die Vorleser-Folgen auf WDR 5 ausgestrahlt.

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