„Ich weiß... was du im Sommer 2037 tun wirst“: Sklaven des ICH

Fünf Freunde allein im Wald. Ohne Nahrung, ohne Wasser. Und ohne ihre Augmented-Reality-Kontaktlinsen. Abgeschnitten also vom weltweiten Netz der Dinge mit all dem ausgelagerten Wissen und den Beschäftigungstherapien, stattdessen ganz auf sich allein gestellt – das kann ja nicht gut gehen. Zu groß ist die Abhängigkeit von der digitalen Sphäre und der künstlichen Intelligenz namens „ICH“, die das Leben in allen Belangen bestimmt. So kommt es in dem Theaterstück „Ich weiß... was du im Sommer 2037 tun wirst“, das jetzt im Contra-Kreis-Theater Bonn seine Uraufführung erfuhr, beinahe zur Katastrophe. Aus der letztlich (da wird die Dystopie erstaunlich realistisch) noch nicht einmal jemand etwas lernt. Was eigentlich das Erschreckendste an dem ganzen Szenario ist.

Die Handlung des Stückes mit dem sperrigen Titel ist wahrscheinlich weit weniger Fiktion, als man zunächst glauben möchte. Es ist eine durchaus intelligente, kritische und zugleich unglaublich unterhaltsame Auseinandersetzung mit der zunehmenden Digitalisierung, die der 16-jährige Bernard Paschke hier erdacht und inszeniert hat. Der Meckenheimer, der zwei Klassen übersprang und bereits 2016 sein Abitur am Carl-von-Ossietzky-Gymnasium in Bonn ablegte, will nun als Schauspieler, Regisseur, Autor und Kabarettist durchstarten und hängt mit seinem dritten Stück (nach „Die Känguru-Chroniken“ im Rahmen des Schultheater-Festivals Spotlights und „Die drei Musketiere – Ein Zwei-Mann-Stück“) die Messlatte ziemlich hoch. Irgendwo zwischen „Herr der Fliegen“, „Das Experiment“ und den sozialkritischen Elementen aus Dan Simmons' Epos „Olympos“ verortet skizziert er eine Welt, in der eigenständiges Denken und erlerntes Wissen zu einer Belastung geworden sind. Der Computer gibt vor, was zu tun ist – eine Diktatur des ICH, der sich jeder nur allzu gerne unterwirft. Auch die fünf Teenager im Wald greifen nur allzu schnell wieder zu ihren AR-Linsen, um so zu erfahren, wie sie Feuer machen, Wasser finden und Bärlauch sammeln können. Als ICH jedoch beginnt, ihnen bestimmte Aufgaben aufzuzwingen und Strafen zu verhängen, begehren einige von ihnen auf – und geraten in Konflikt mit der Gruppe, die sich lieber einem faschistischen System beugt, als zu agieren.

„Wir müssen nicht über ein paar Dinge reden, wir müssen über ein paar Dinge schweigen“, bringt es irgendwann der zunächst zurückhaltende Marvin auf den Punkt, der im Laufe der Handlung die größte Wandlung vollzieht. Moritz Gatz, wie alle im Ensemble ein ambitionierter Laienschauspieler, spielt diese Rolle mit bemerkenswerter Vielseitigkeit und Eindringlichkeit. Sie ist jene, die am stärksten zwischen den Extremen schwankt, die der genetisch nicht modifizierte Adrian (Jan Philipp Zaun) und der sich selbst als eine Art Hohepriester des ICH sehende Finn (Bernard Paschke) bilden. Dazwischen die mitunter zickige ab er auch mutige Zoe (stark: Julia Seitz) und die eher pragmatische Katja (Anne Wagner), die sich alle irgendwann gegen ICH auflehnen, nur um sich letztlich doch wieder seiner Herrschaft zu unterwerfen. Als Sklave eines digitalen Geistes lebt es sich nun einmal weitaus unbeschwerter.

Mit „Ich weiß... was du im Sommer 2037 tun wirst“ gelingt Bernard Paschke eine beeindruckende Inszenierung, die vor allem angesichts der Jugend von Autor, Regisseur und Ensemble schon erfreulich reif wirkt. Es dürfte spannend sein, den Weg des Meckenheimers weiter zu verfolgen und darauf zu hoffen, dass er sich nicht verzettelt – immerhin steht am 13. September die Premiere seines Kabarett-Programms „Ein bunter Pott Püree“ im Pantheon an.

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