„Der Menschenfeind“: Die Heuchelei der Schickeria

In gewisser Weise ist Alceste der ehrlichste Mensch der Welt. Und genau das ist das Problem. Der leidenschaftliche Poet nimmt kein Blatt vor den Mund, spricht aus, was er meint und macht sich damit in der Schickeria der Bonner Republik nicht gerade beliebt. Echte Kritik oder auch nur eine vehement geäußerte Meinung hat in einer fröhlich heuchelnden Gesellschaft einfach keinen Platz. Jeder macht gute Miene zu bösem Spiel und lästert doch nur über jene, die gerade nicht anwesend sind. Und daran hat sich bis heute nichts geändert. Ganz im Gegenteil. Insofern ist Hans Magnus Enzenbergers Übersetzung und Neufassung von Molières berühmter Komödie „Der Menschenfeind“, die das studentische Ensemble Dauertheatersendung jetzt in der Brotfabrik inszeniert, überaus aktuell. Doch Regisseurin Xenija Zoller will den Geist der frühen 80er Jahre, der in der Textvorlage verborgen ist, um jeden Preis bewahren – und erweitert die souverän gespielte Haupthandlung kurzerhand um einige absurde Versatzstücke, die mitunter brillant sind, zugleich aber für Irritationen sorgen.

Nötig wäre das alles nicht. Das Ensemble setzt Enzensbergers Reime geschickt um, nähert sich der Alltagssprache an und schafft es tatsächlich immer wieder, das Versmaß vergessen zu lassen. Was alles andere als selbstverständlich ist. Vor allem Maximilian Tücks macht als launischer Alceste eine gute Figur, ebenso wie Alexander Bluhm als sein Widersacher Oronte, ein Politiker mit weit größeren poetischen Ambitionen als Talent. Auch Nadine Matern als die von allen Männern begehrte Célimène, Thomas Liessem als Alcestes Freund Philinte und Kathrin Knipping als die intrigante Arsinoé spielen ihre Rollen mit Verve und Witz, wenn auch mitunter ein klein wenig zu bemüht. Das mag am durchaus anspruchsvollen Text liegen – oder an den skurrilen Zwischensequenzen, die der Handlung nicht dienlich sind, ja sie vielmehr unnötig zerstückeln und so den Schwung herausnehmen, den die zentralen Figuren so sehr brauchen. Da turnt ein Aerobic-Chor in Spandex-Anzügen über die Bühne, eine Glamrock-Band hat einen kurzen Vollplayback-Auftritt, und ein nöliger Butler mit psychopathischer Ader vergeht sich an einem hilflosen Pantomimen. Warum? Keiner weiß es. Ja, die Szenen sorgen für Lacher und vor allem im letztgenannten Fall auch für große Begeisterung (das Spiel von Mazyar Jahanbakhsh und Jörg Schneider unmittelbar vor der unerwarteten und unnötigen Pause ist sogar der Höhepunkt der Aufführung), sind aber überhaupt nicht in die eigentliche Handlung um Alcestes Zerrissenheit zwischen der Ablehnung der Gesellschaft und der Liebe für die in selbiger aufblühende Célimène integriert. Es fehlt die dramaturgische Konsequenz, entweder alles um derartige Versatzstücke herumzubauen oder sie konsequent zu streichen. Was hätte daraus erwachsen können. Dennoch, kurzweilig ist die Inszenierung allemal, ein unterhaltsamer Abend ist dank ebenso ambitionierter wie engagierter Schauspieler garantiert. Was ja auch mal ganz nett ist.

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