Thomas Freitag: Kreisverkehr Europa

Ein Zyniker, so betont es Peter Rübenbauer gerne mal, ist ein Mensch, der von allem den Preis kennt und von nichts den Wert. So wie Donald Trump. Oder viele, viel zu viele Akteure in der EU. Kein Wunder, dass die sich im Kreis dreht. Oder schlimmer noch: In einer Spirale, die nach unten weist. Wenn alle nur an sich selber denken und mittlerweile mit allen Mitteln versuchen, jene Grenzen wieder zu errichten, die man zuvor mühselig überwunden zu haben glaubte, nur um „den Fremden“ nichts gönnen zu müssen, dann bricht auseinander, was zusammen gehört. „Die AfD will sogar eine Grenze zu Österreich ziehen – wobei ich mich wundere, dass es so etwas in deren Weltbild überhaupt gibt“, kommentiert der ehemalige EU-Beamte für Kreisverkehre, der nach einem Unfall an einer Haltestelle im Grenzgebiet des Jenseits ausharren muss und dort so einige Schreckgespenster antrifft, die ihre Positionen zu Europa zum Ausdruck bringen – und dadurch fast kinskieske Reaktionen hervorrufen. Von denen es ruhig mehr geben dürfte.

Hinter Rübenbauers Mischung aus engagiertem Pathos und satirischer Schärfe verbirgt sich der geschliffene Geist des Kabarettisten Thomas Freitag, der im Haus der Springmaus sein aktuelles Programm „Europa - der Kreisverkehr und ein Todesfall“ präsentiert. Es ist ein brillantes Lehrstück darüber, wie unglaublich absurd die Institution EU mit all ihren bürokratischen Hürden, Irrwegen und Selbstbeschäftigungsmaßnahmen sein kann. Und wie unglaublich wichtig sie dennoch ist. Aus Sicht Rübenbauers erinnert sie ein metaphysisches Kunstwerk, dass er in die Mitte eines Kreisverkehrs auf der Insel Lesbos setzte – eine große leere Fläche, sagt er nachdenklich. Oder vielleicht auch einfach ein gemeinsamer Raum zur freien Entfaltung? Eine, die keine Selbstverständlichkeit ist und die von einigen durchaus kritisiert wird. Da ist der Bürgermeister der Leberkäse-Hauptstadt Brunzhausen, ein bärbeißiger Franz-Josef-Strauß-Verschnitt, der sich in skurrilem Denglisch über die polnische Fleischbrät-Konkurrenz aufregt, zugleich aber so manchen Lebensmittelskandal anprangert. Oder der Radikal-Evangele, der mit olfaktorischem Sprengstoff droht und das Gewinnstreben zur neuen Religion erhebt. Und dann wäre da noch Rübenbauers afrikanisches Patenkind Suni, ein wissbegieriges Mädchen, dem der EU-Mann gerne regelmäßig Geld schickt, damit es bloß nicht auf den Gedanken kommt, dass es anderswo besser sein könnte als in der ausbeuterischen, von Milizen beherrschten Heimat. Individuelle Entwicklungshilfe, um das Gewissen zu beruhigen und sich keiner Schuld oder gar einer Verantwortung bewusst sein zu müssen. Manchmal macht man es sich eben sehr einfach. Doch Freitags Rübenbauer will mehr, wie er selber feststellt. Er will wieder brennen. Und so hält er zum Schluss eben doch ein glühendes Plädoyer für jene Leitgedanken, die das Zusammenrücken der verschiedenen Länder einst antrieben. „Europa muss wieder eine große Idee werden: Dass gleiche und freie Menschen zusammenleben und diese Werte verteidigen.“ Da spricht kein Zyniker. Sondern ein Mensch, der jeden Preis zu zahlen bereit ist. Weil Europa das eben wert ist.

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