Helen Schneider: Rückblick einer großen Stimme

Singen kann die Frau so ziemlich alles. Rock an der Seite von Udo Lindenberg, Musicals wie „Cabaret“, „Evita“ und „Sunset Boulevard“, kecke Chansons von Kurt Weill, Jazz-Standards. All das hat Helen Schneider schon hinter sich; so ist es nur eine logische Konsequenz, dass sie sich jetzt dem Singer-Songwritertum zuwendet, das sie in den 60er und 70er Jahren sehr geprägt hat. Zusammen mit Linda Uruburu, ihre Freundin seit Kindheitstagen, und dem Gitarristen Jo Ambros hat sie sich entsprechende Lieder auf den Leib geschrieben, Lieder, mit denen sie all das auszudrücken vermag, was sie in den vergangenen Jahren bewegte. In der Harmonie Bonn legt die 64-Jährige nun ihre Seele bloß – und sorgt so für einen bewegenden Abend.

Eigentlich, so gesteht Schneider selbst, sei ein Rückblick nichts für sie, die immer lieber nach vorne geschaut habe. Doch die zuletzt gemachten Erfahrungen haben die gebürtige Amerikanerin diese Einstellung überdenken lassen. Immerhin gibt ihr die Musik auch ein Ventil. Und das nutzt sie nun. So manchen Schmerz verarbeitet sie in ihren Liedern (vor allem den über den Verlust ihres Vaters und ihres langjährigen Lebensgefährten), aber auch die ein oder andere klare Position hinsichtlich globaler Themen. Nicht umsonst widmet sie mit „Satisfaction“ einen ihrer stärksten, energiegeladensten Songs jenen Menschen, die in Kriegen überall auf der Welt innere und äußere Wunden erleiden, die eben nicht von der Zeit geheilt werden. Zumindest nicht vollständig. Auslöser war einmal mehr eine Erinnerung, diesmal an einen jungen Vietnam-Veteranen, den sie in ihrer Jugend kannte, auch wenn der eigentliche Liedtext, wie die meisten des „Collective Memories“-Projekts, diesen autobiographischen Bezug nicht thematisiert.

Dies überlässt Helen Schneider ihren Geschichten, von denen sie viele im Gepäck hat. Sehr viele. „Ich rede zu viel“, erkennt sie irgendwann, ohne allerdings etwas zu ändern. Das gehört eben zu diesem Abend dazu. Ausführlich erzählt sie von ihrer Jugend, von Geistern in Nachbarhäusern und vor allem von ihrem verstorbenen Vater, den sie als ihren besten Freund bezeichnet. Dass sie dabei mitunter ein wenig den Faden verliert, in ihrer ganz speziellen Mischung aus Deutsch und Englisch fahrig wirkt und den Bogen zu den kommenden Liedern nicht immer sonderlich geschickt schließt, stört ein wenig den Genuss, den die Sängerin mit der herrlich warmen Stimme musikalisch mühelos zu schaffen vermag. Jeder Ton sitzt perfekt, von der Musical-Vergangenheit Schneiders hörbar durchdrungen, von der Bühne in die schummrige Dunkelheit des Saals quellend, getragen von dem feinen, dezenten Spiel ihrer beiden Begleiter. Jo Ambros liefert in bester Singer-Songwriter-Manier bewusst zurückhaltende Gitarren-Melodien, immer präsent und dabei nie aufdringlich, während Bassist Oliver Potratz ebenso oft zupft wie seinen Bogen bemüht, mit dem er wie etwa bei „I'll See You Once Again“ wunderbar feinfühlige Linien zu zeichnen vermag. Schön aber auch, als der treue Balladen-Stil in der zweiten Konzerthälfte aufgebrochen wird, sich deutlich mehr Energie und Groove breit machen und so der zuvor dominierenden Melancholie Paroli bieten. Immerhin ist Helen Schneider trotz mancher Schicksalsschläge noch lange nicht mit dem Universum, dem Leben und dem ganzen Rest fertig. Noch lange nicht. Die „Collective Memories“ machen schließlich bereits einer Fortsetzung Platz. Titel: „Moving On“. Eine vielversprechende Aussage. Was danach kommt, wird sich zeigen. Klar ist nach diesem Abend allerdings, dass es dank Helen Schneider zweifelsfrei hörenswert sein wird.

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