Chin Meyer: Die Schwächen der dunklen Seite

Eigentlich kennt Chin Meyer sich ja aus in den Welten des Scheins. Nur wenige Kabarettisten durchdringen das Dickicht der Finanzmärkte so gut wie der der 57-Jährige, können Leerverkäufe anhand von Bohrmaschinen erklären und den besten Weg zur Ausnutzung von Steueroasen weisen. Doch mit seinem neuen Programm „Macht! Geld! Sexy?“ lehnt sich der Mann mit dem Hundert-Dollar-Anzug ein wenig zu weit aus dem Fenster. Gleich drei große Komplexe nimmt er im Haus der Springmaus in Bonn ins Visier, von denen jedes einzelne Stoff für nahezu unendlich viele Kleinkünstler bietet – und prompt verheddert Meyer sich in dem selbst aufgespannten Netz, wirkt fahrig und unfokussiert. Auch weil er die drei großen Schlagwörter in seinem Programmtitel immer wieder nur als Vorwand nimmt, um irgendwelche Liedchen zu trällern. Warum auch immer.

Zugegeben, Meyer ist ein guter Sänger. Die Intonation sitzt im Gegensatz zu manchen seiner Kollegen einwandfrei, die kraftvolle Stimme füllt den Saal mühelos. Doch die ohnehin viel zu ausgeprägte Lust am Umdichten bekannter Texte läuft bei Meyer Amok. Allein ein gutes Dutzend Titel werden für den Brexit angepasst, an anderen Stellen greift er ebenso zu dieser völlig überreizten Methode, und sei es nur, um sich nach der Pause in einem unnötig gestelzten Striptease vom Steuerfahnder Sigismund von Treiber in seine eigentliche Persona zu verwandeln. Dazu gesellen sich eine improvisierte Opern-Arie auf Bonn und eine Bollywood-Nummer, bei der Begleitpianist Claus-Dieter Bandorf halbnackt in einen Sari gehüllt über die Bühne hüpfen muss, während Meyer als indischer Finanzguru für kleine Gewinne seine Weisheiten unters Volk zu bringen versucht. Was mehr schlecht als recht gelingt.

Das Hauptproblem Meyers ist dabei in erster Linie die fehlende Stringenz. Alles muss mal angesprochen werden, von der Digitalisierung über die angeblich so gefährlichen Alltagsdrogen Zucker und Alkohol (gegen die der 57-Jährige einen privaten Kreuzzug zu führen scheint) und die Rückstellungen der Deutschen Bank für ihre halbseidenen Geschäfte bis hin zu der Wahl Donald Trumps, die den Kabarettisten dazu verleitet, eine Allianz all jener Staaten zu schmieden, denen die USA bislang „die Demokratie gebracht hat“, um dann den Gefallen zu erwidern. Doch anstatt wirklich in die Tiefe zu gehen, belässt es Meyer allzu oft bei Plattitüden, die in manchen Momenten einfach nur peinlich werden. Als er sich etwa vorstellt, wie die Deutsche Bank von den Türken aufgekauft wird, suhlt er sich geradezu in Klischees, ebenso bei der Vorstellung des SmartHubands angesichts der zunehmenden Vernetzung intelligenter Haushaltsgeräte. Mit dem angekündigten Finanzkabarett hat dies nur am Rande zu tun. Dabei kann es Meyer doch so viel besser. Vor allem wenn er so richtig zynisch wird und den armen Schluckern im Publikum zeigt, wo der Hammer hängt, sie zu Bankräubern und Koksdealern umerzieht, ihnen Steuerschlupflöcher aufzeigt und dabei in seiner Rolle als Finanzbeamter so arrogant und schmierig wirkt, dass unweigerlich die Galle zu brodeln beginnt und selbst ein als Darth Vader verkleideter Pianist zittert. Die dunkle Seite der Macht ist der dunklen Seite des Geldes nun einmal hoffnungslos unterlegen.

Vielleicht ist „Macht! Geld! Sexy?“ einfach noch zu frisch, muss sich erst einspielen und einige Ecken abschlagen – die vor allem in der zweiten Hälfte vermehrt auftretenden Hänger Chin Meyers sprechen dafür. Eine klarere Linienführung und etwas mehr Substanz anstelle der ein oder anderen überflüssigen Gesangseinlage würden auch nicht schaden. Und auf jeden Fall mehr Bösartigkeit. Oder alternativ eine deutliche Scheinheiligkeit. Würde ja passen. In seiner jetzigen Form kann Meyers neues Programm auf jeden Fall nur bedingt begeistern. In der Springmaus reagiert das Publikum nicht umsonst mit höflichem, aber alles andere als frenetischem Applaus.

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