Tim Fischer: Sehnsucht unterm Säufermond

Gänsehautgesang, der mitten ins Herz trifft. Wenn Tim Fischer seine Stimme erhebt und mit ihr die Abgründe der Sehnsucht auslotet, wenn er sich an das verführerische Lied von Lady Whisky, dieser alten Sirene, mit einer gewissen Schwermut erinnert und das Publikum mitnimmt in die eigene Seele, vibriert der Saal der Oper Bonn vor kaum beherrschbarer Intensität. Es sind die ganz großen Momente, jene, in denen der 43-Jährige wieder und wieder unter Beweis stellt, warum er als Chansonnier so geliebt und verehrt wird – er, der mühelos auf der Klaviatur der Emotionen zu spielen vermag und seine Zuhörer ins Wechselbad der Gefühle stößt, zwischen himmelhoch jauchzend und zu Tode betrübt. Was für ein Konzert: Eines, das Genuss und Katharsis zugleich ist.

In seinem neuen Programm „Absolut“ greift Fischer dabei auf jede Menge neues Material zurück. Manches ist ziemlich schräg, gerne auch bitterböse und mit mitternachtsschwarzem Humor unterlegt: Da bringt eine Frau ihren Ehemann um („Aber er bringt dich zum Lachen“), dann wieder richtet ein Mann seiner im Koma liegenden Ex Grüße von der Stimme in seinem Kopf aus. Kleine, feine Spitzen aus der Feder von Sebastian Krämer, die Fischer augenzwinkernd präsentiert. Die Lieder von Thomas Pigor sind dagegen fast schon überzogen, sind eigentlich zu grotesk und zu direkt für die ziselierten Modulationen Fischers. Andererseits ist es schon herrlich, wenn dieser als Hitler mit perfekt schnarrendem R Werbung für das „schärfste Eau de Cologne der Welt“ macht. Sehenswert ist das allemal.

Und doch: Nichts geht über jene Lieder, die ganz tief blicken lassen und die vor allem die zweite Hälfte des Konzerts dominieren. Zum einen die herausragenden Brel-Interpretationen (vor allem „Das Lied von der alten Liebe“ und „Bitte geh nicht fort“) und der veredelte Lindenbergsche „Säufermond“, zum anderen jene traumhaften Kompositionen, die Fischers langjähriger Begleiter Rainer Bielfeldt ihm – so wie einst schon mit der „Rinnsteinprinzessin“ – zusammen mit Edith Jeske auf den Leib geschrieben hat. In ihnen offenbart sich Fischer, bietet sich selbst dar, zeichnet zärtlich und nachdenklich zugleich seine eigene Vergangenheit nach und zieht aus dieser nicht immer einfachen Zeit die Kraft, um das Publikum zu verzaubern. "Seien Sie gut zueinander und seien Sie gut zu sich selbst", gibt er diesem zum Schluss noch mit auf den Weg. Kein Problem: Wer in Tim Fischers Konzert war, hat letzteres bereits geschafft.

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