„Michael Kohlhaas“: Der Schein der Gerechtigkeit

„Es soll Gerechtigkeit geschehen, und gehe auch die Welt daran zugrunde!“ Nach diesem Motto treibt Michael Kohlhaas wie ein Schnitter übers Land, ein Racheengel, der aus Wut über eine gegen ihn begangene Ungerechtigkeit die Welt bluten lassen will. Und doch zugleich jemand, der liebt und leidet, der verzweifelt und gerade deswegen aufbegehrt. Regisseur Stefan Hermann hat sich in seiner Inszenierung der Kleistschen Novelle im Euro Theater Central genau auf diesen Aspekt konzentriert, hat den Mensch hinter dem Monster herausgearbeitet und hat so ein tief bewegendes Solo geschaffen, das einmal mehr zeigt, dass ein gutes Stück keine großen Bühnenbilder oder Technikspielereien braucht, keinen Pomp und kein riesiges Ensemble – sondern nur einen guten Text. Und einen überragenden Schauspieler.

Letzteren hat Hermann in Michael Meichßner gefunden. Auf kleinstem Raum, eingepfercht in einer winzigen Zelle mit nicht viel mehr als einem Schemel auf einem strohbedeckten Boden, spielt dieser mit beeindruckender Virtuosität auf der Klaviatur der Emotionen, während er als Kohlhaas von jenen Ereignissen erzählt, die aus einem unbescholtenen Pferdehändler von den Ufern der Havel einen gefährlichen Mordbrenner und Plünderer gemacht haben. Zunächst noch ruhig vom Ritt gen Dresden berichtend, auf dem ihm der Junker Wenzel von Tronka wegen eines angeblich fehlenden Passierscheins zwei Rappen entwendet; später zunehmend empört angesichts der Misshandlungen, die seine Tiere ertragen müssen; dann immer zorniger, als eine Klage nach der anderen von der Verwandtschaft des Adeligen abgeschmettert wird; schließlich rasend, als seine Frau beim Versuch, den Kurfürsten von Brandenburg über die Geschehnisse zu informieren, durch einen unglücklichen Unfall zu Tode kommt. Mit Gerechtigkeit hat all das nichts mehr zu tun – und so nimmt Kohlhaas, der sich aus der Gesellschaft verstoßen fühlt, kurzerhand das Recht in die eigenen Hände. Was man irgendwie auch versteht, nicht zuletzt dank Meichßners intensivem, herrlich differenziertem Spiel.

Gleichzeitig wird offenbar, dass „Michael Kohlhaas“ an Aktualität nichts verloren hat. Auch heute kungeln die Mächtigen, lügen, betrügen und wirtschaften fröhlich in die eigene Tasche, scheinbar ohne Angst vor Konsequenzen. Und die anderen? Sind abgehängt. Oder fühlen sich so. Was Folgen hat. „Lieber ein Hund sein, wenn ich von Füßen getreten werden soll, als ein Mensch“, propagiert Kohlhaas, als er am Regierungssystem zu zweifeln beginnt. Ein Hund, der beißt, wenn das Bellen nicht mehr ausreicht. Und der dann nicht mehr so schnell loslässt. „Nichts missgönne ich der Regierung mehr als den Schein der Gerechtigkeit“, sagt Kohlhaas später, als er einmal mehr betrogen wird. Die sich aufdrängenden Parallelen zu AfD und Pegida, Trumpisten und anderen zunehmend radikaleren Nationalisten schwingen in der Inszenierung des Euro Theaters allerdings nur im Hintergrund mit, werden bewusst nicht angesprochen oder gezeigt – zumal die Szenen in dem Kohlhaasschen Heerhaufen, in dem die Radikalisierung besonders ausgeprägt ist, ohnehin dem Rotstift zum Opfer gefallen sind. Braucht man auch nicht. Die Deutung obliegt ohnehin dem Publikum, der Text spricht schon für sich selbst. Ein schöner Ansatz, der erfreulicherweise aufgeht. Die aufs Wesentliche reduzierte Inszenierung bietet Theater in Reinform, ist unverblümt, nackt und gerade deswegen so stark. Aber etwas anderes braucht man vom Euro Theater auch nicht zu erwarten.

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Kommentare: 2
  • #1

    Andie (Samstag, 03 Dezember 2016)

    „Nichts missgönne ich der Regierung mehr als den Schein der Gerechtigkeit“
    Aber Kohlhaas beruft sich nicht auf ein abstraktes Prinzip der Gerechtigkeit das unverwirklicht bleibt, sondern er pocht geradezu fundamentalistisch auf das positive, geltende Recht, das ihm verwehrt wird. Gerechtigkeit ist für ihn nicht ein Natur- oder Vernunftrecht, das verwirklicht werden soll. Er mahnt die Herrschenden, sich an ihre eigenen Gesetze zu halten. Es ist ein Musterbeispiel des rechtstreuen Bürgers, der an der Rechtsbeugung der Herrschenden verzweifelt und zur Selbstjustiz greift. Als ihm endlich Recht gewährt wird, akzeptiert er auch seine rechtmäßige Verurteilung zum Tode als Gerechtigkeit.
    Schade, dass ich mir das Stück nicht anschauen kann. Hört sich nach einer spannenden Adaption an.

  • #2

    Andie (Samstag, 03 Dezember 2016 16:30)

    Um Abgehängte geht es in dem Kleist-Text nicht. Kohlhaas ist ja ein erfolgreicher und wohlhabender Pferdehändler und kein verarmter Lumpen. Es ist keine Frage der sozialen Gerechtigkeit, sondern der juristischen Gerechtigkeit. Der Konflikt ist einer zwischen Bürgertum und Adel und nur in diesem historischen Kontext zu verstehen.