„Der Spieler“: Die Farben der Sucht

Rot oder Schwarz. Mehr Wahlmöglichkeiten gibt es nicht. Rot oder Schwarz. Es ist so einfach. Wählen, setzen und auf die Kugel hoffen. Gewinnt man, kann man weiterspielen. Verliert man, muss man weiterspielen. So lange, bis man alles verloren hat. Das Geld, die Liebe, das Leben. Diese Sucht, dieses unbändige Verlangen nach Roulette und Karten, kannte Fjodor Dostojewski nur allzu gut, als er den Roman „Der Spieler“ schrieb. Schon das Werk selbst war Teil einer Schuld, war der Wetteinsatz eines Abhängigen und Verzweifelten. Der Schauspieler Hajo Tuschy und der Musiker Jacob Suske haben diesen aufgeladenen Stoff nun in der Werkstatt des Theater Bonn auf die Bühne gebracht – und eine bemerkenswerte Theatererfahrung geschaffen, die trotz mancher Ausflüge ins Grotekse und Überdrehte die Botschaft der Vorlage letztlich überaus eindringlich zu vermitteln versteht.

Dostojewski skizziert in seinem innerhalb von 26 Tagen entstandenen und mit autobiographischen Referenzen durchsetzten Werk das Schicksal des Hauslehrers Aleksej, der sich nach der jungen Polina verzehrt und sich, ohnehin spielsüchtig, für sie immer tiefer in den Strudel aus Geldgier und Glücks-Bedürfnis stürzt. Doch nicht nur er ist in Mammons Fängen: Auch Polinas Stiefvater, der General, ist in finanziellen Schwierigkeiten und hofft, ebenso wie ein französischer Marquis und eine zwielichtige Mademoiselle, auf ein baldiges Ableben der „Babulenka“. Doch auf einmal steht die alte Dame selbst vor der Tür – und beginnt damit, ihr Vermögen zu verzocken. All diese Figuren lässt Tuschy auf einer Drehbühne mit roten und schwarzen Bereichen auftreten (das Farbkonzept, das sich auch in den Kostümen widerspiegelt, ist so einfach wie genial), sie alle selbst verkörpernd und damit seine Wandlungsfähigkeit unterstreichend, während Suske mit viel Witz und einem herausragenden Gespür für Spannung die passende Klangatmosphäre erzeugt. Ein klassisches Ein-Personen-Stück mit Live-Musik, könnte man meinen. Doch normal ist in diesem Fall wenig. Ganz im Gegenteil. Gerade während der ersten Stunde tobt Tuschy sich so richtig aus, zieht Parallelen zu Schäubles schwarzer Null, der deutschen Sparsamkeit und den Hochrisiko-Zockereien großer Banken, lotet die Extreme des Schauspiels aus und bricht dabei permanent mit der Theater-Illusion. Ein Herr wird zum Wasserträger, eine Dame zum Lustobjekt bestimmt, beide so zu mehr oder weniger unfreiwilligen Darstellern. Und so droht „Der Spieler“, so unterhaltsam er auch dank der charismatischen Art Tuschys ist, immer mehr zu einer kurzweiligen und doch überfrachteten Groteske zu werden, die von den intensiven Passagen mehr schlecht als recht gestützt wird. Bis sich die Szenerie umkehrt – und die Brillanz dieser Setzung zu Tage tritt.

Letztlich haben Tuschy und Suske mit all ihren Spielereien nur den Boden für den Besuch der alten Dame bereitet. Mit dem Erscheinen der Babulenka nimmt das zentrale Moment der Handlung an Fahrt auf: Sie verfällt dem Roulette innerhalb von Sekunden und zeigt damit all jenen, die auf ihren Tod und den daraus resultierenden Geldregen spekuliert haben, eine lange Nase. Schneller und schneller dreht sich in diesem Moment die Bühne, wird das Wahnhafte sichtbar, die Sucht spürbar – und das Publikum ist nicht zuletzt dank der früheren Eskapaden für die ernste Ebene in diesem an sich extremen Ausbruch sensibilisiert. Immerhin ist das Spiel der Babulenka ein Spiel mit ihrem Vermögen und ihrem Leben. Doch während sie den finanziellen Verlust mehr oder weniger unbeschadet übersteht und am Ende in der Lage ist, einen Schlussstrich zu ziehen, gelingt dies Aleksej nicht. Und das, obwohl seine Optionen deutlich besser sind. Er hat die Wahl zwischen einer Nacht mit der von ihm begehrten Polina und einem weiteren Besuch des Kasinos – und er entscheidet sich für den orgiastischen Taumel des Geldes. „Ich muss für sie spielen und gewinnen“, sagt er und tut dies doch nur um seinetwillen. Hier, im Höhepunkt des Stückes, ist Tuschy so intensiv wie selten, ist nicht Schauspieler, sondern nur noch Spieler und sorgt somit für ein fulminantes Finale zwischen Rot und Schwarz. Klasse.

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