„Songs of Spring“: Die Folgen der Revolution

Mit Harmonien kommt man nicht weiter. Nicht, wenn es um die Situation in Tunesien, Ägypten, Bahrain, Syrien und der Türkei geht, die noch vor gut fünf Jahren von der so genannten arabischen Revolution überflutet wurden, von Protestwellen Hunderttausender, die mehr Freiheit und Demokratie forderten. Daraus ist in den meisten Fällen nicht viel geworden. Nun hat die türkische Pianistin Seda Röder sechs junge Komponisten aus diesen Ländern aufgerufen, ihre persönliche Wahrnehmung der „Arabellion“ und ihrer Folgen in Musik zu packen. Und die, so zeigte die Uraufführung der „Songs of Spring“ in den Kammerspielen Bad Godesberg im Rahmen des Beethovenfests, kann eben vieles sein. Aber sicherlich nicht harmonisch.

Röder hat die entstandenen Werke geschickt in eine Rahmenhandlung eingebettet, in der sie Erzähler Laurenz Leky auf die Suche nach der Geschichte des Arabischen Frühlings schickt. Mal sucht er auf Google und liest Wikipedia, dann wieder scheint er dank Videomontage selbst aus Ägypten zu berichten. Auch Videosequenzen mit den Komponisten fließen mit ein und bilden so eine sehr informative Grundlage, die die Werke zumindest ansatzweise aufschließt. „Wir wollen, dass eine neue Generation neue Dinge macht“, bringt es etwa der Tunesier Souhaly Guesmi auf den Punkt. Weg mit dem Althergebrachten, her mit der Innovation. Ein ähnliches Verlangen hat nach Ende des Zweiten Weltkriegs maßgeblich zur Avantgarde beigetragen – zumal die Neue Musik unter der Nazi-Herrschaft als entartete Kunst galt. Nun versuchen die Künstler der arabischen Welt, die in ihren Ländern weit verbreitete Zensur mit den ihnen eigenen Mitteln zu umgehen und dabei neue Impulse zu setzen. So greift der Ägypter Amr Okba Facebook-Postings auf und setzt sie in abgehackte, dissonante Miniaturen um. Diese Zerstückelung der Musik ist für den Hörer überaus anstrengend, zugleich aber emblematisch für ein Land, das unter dem Regime Al-Sissis nicht weniger leidet als unter dem Mubaraks.

Vor allem Rhythmen üben in Ländern, in denen Kritik am Staat und an der Religion nicht toleriert werden, beinahe die Funktion einer Geheimsprache aus. So greift Hasan Hujairi aus Bahrain ein bestimmtes Klatsch-Motiv auf, mit dem der Sturz des Königs gefordert wird und das für einige Zeit ein beliebtes Hupsignal unter Autofahrern war. Darüber schichtet er in Töne gegossene Rufe und Reden, kleine Fragmente des Widerstands – ebenso wie der Türke Tolga Yayalar, der Tweets aus der Zeit der Proteste verarbeitet und seinen Landsleuten wider die Zensur eine Stimme verleiht. Zudem setzt er auf Mezzosopranistin Kristina Quintabà, die zuvor bereits zusammen mit dem Violinisten Ekkehard Windrich der Klage des Syrers Zaid Jabri Ausdruck verliehen hat. Ob allerdings eine stilisierte Opernstimme das richtige Sprachrohr für ein Volk ist, in dem selbst die Hoffnung zerbröckelt und nur noch das Fleisch zurückbleibt? Ausgerechnet Jabris „Variations on (R)evolution“ wirken so in ihrer Künstlichkeit am schwächsten, obwohl zuvor ausdrücklich auf die Schrecken der seit 2012 eingeschlossenen Stadt Madaja hingewiesen wurde, deren Bewohnern der Hungertod droht. Ja, vielleicht kann dieser Katastrophe wirklich nicht mit musikalischen Harmonien begegnet werden – andererseits gilt es selbst dann, eine Sprache zu finden, die das Publikum nicht nur versteht, sondern die es auch bewegt. Auf intellektueller Ebene sind alle „Songs of Spring“ nachvollziehbar, im besten Fall sogar eindringlich (vor allem Guesmis „Ô Peuple!“ und Yayalars „Songs from the Days of June“). Die emotionale Ebene muss dagegen jeder selber bewerten. Mit offenen Ohren und offenem Herzen. Immerhin: Wenn die Musik zumindest das erreicht, hat sie schon viel gewonnen.

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