Marialy Pacheco: Traumhaftes und aufregendes Kuba

Da tanzt sie wieder an ihrem Flügel. Kurz ergibt sich ihr Körper der Musik, in einer jener seltenen Pausen, in denen Marialy Pacheco nicht über die Tasten jagen muss, um im Rahmen des Beethovenfests zusammen mit dem WDR Funkhausorchester die Klänge und Rhythmen Kubas zum Leben zu erwecken. Diese liegen der 33-Jährigen im Blut, pulsieren in ihr, sind essentieller Bestandteil ihres Seins – kein Wunder, dass die erste und bislang einzige Gewinnerin der Montreux Solo Piano Competition nicht stillsitzen kann. Das gehört einfach an diesem Abend dazu, sehr zur Freude des Publikums in der Rhein-Sieg-Halle in Siegburg, das dank dieser Leidenschaft Pachecos und der anderen herausragenden Musiker ein phänomenales Konzert erleben kann.

Das WDR Funkhausorchester, das unter der Leitung des Briten Wayne Marshall einen lebhaften Klang entwickelt und sich – nach einer winzigen Einspielphase bei Gershwins „Cuban Ouvertüre“ –den von Pacheco geschriebenen respektive arrangierten Stücken mit viel Verve annimmt, erweist sich dabei als starker Partner für das Trio der Pianistin (neben ihr noch Juan Camillo Villa am Bass und Rodrigo Villalón am Schlagzeug). Zusammen erschaffen sie sowohl romantisch-verklärte Danzóns als auch fetzige Kompositionen, denen sich keiner entziehen kann. Herrlich etwa das ursprünglich von Salsa-Diva Celia Cruz interpretierte „Burundanga“, das aus einem fast schon minimalistisch-repetitiven Intro heraus explodiert, oder auch Pachecos „Metro“, das auf eine frühe Vorstellung schneller Züge zurückgeht („so etwas gibt es in Kuba nicht“, erklärt die 33-Jährige lachend, „wir haben nur langsame Busse“) und sich gerade aufgrund seiner ungewöhnlichen Form perfekt als Filmmusik eignen würde. Hier glänzt einmal mehr Trompeter Joo Kraus, den Pacheco als Gastmusiker eingeladen hat und der mit eindrucksvollen Effekttönen, die mitunter an Nils Petter Molvaer erinnern, eine ansonsten im Konzert nicht zu hörende Facette seines Könnens präsentiert. In anderen Momenten ist es sogar noch stärker: Seine Leichtigkeit und Zartheit im Spiel sind unvergleichlich, der mühelose Schmelz, der erfreulicherweise zu keinem Zeitpunkt kitschig wirkt, ist ein Genuss.

Derweil rast Marialy Pacheco ein ums andere Mal durch komplexe Läufe, die sie leise mitzusingen scheint. „Ich weiß selbst nicht so ganz, was dabei passiert“, hat sie einmal in einem Interview gestanden. „Wenn ich improvisiere, schließe ich automatisch die Augen – und aus meinem Mund kommen genau die Töne, die ich auch spiele, obwohl ich nicht sehe, was ich eigentlich spiele.“ Auf jeden Fall funktioniert es. Und wie. Immer wieder gibt Pacheco Gas, begleitet von ihren Trio-Kollegen, die sie blind zu verstehen scheinen und selbst die ungewöhnlichsten Wendungen souverän auffangen. Bis schließlich, viel zu schnell, das Konzert vorbei ist. Zum Abschluss erklingt noch „El Manisero“, jenes Stück, das in den 1940ern eine Rumbamanie in den USA und Europa auslöste – und dann, natürlich, noch zwei Zugaben. Wenn es nach Marialy Pacheco gehen würde, hätten es auch fünf sein können. Erst spielt sie ein intensives Duett mit ihrem Seelenverwandten Joo Kraus, schließlich noch vierhändig mit Wayne Marshall, der geschickt von der freien Improvisation zu „The Girl from Ipanema“ kommt. Ein köstliches Finale, das die Lust nach mehr schürt. Nach mehr Musik. Mehr Feuer. Und mehr Kuba.

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