Pantheon-Vorleser: Wunderbare Depressionen

Der Umzug des Pantheons in die Halle Beuel war lange ungewiss – erst vor kurzem hat Theaterchef Rainer Pause den Mietvertrag unterschrieben und damit trotz gewisser Risiken einer Zukunft des Kleinkunsttempels auf der anderen Rheinseite den Weg bereitet. Während das Team nun unter Hochdruck an einer zunächst provisorischen Bühnenlösung bastelt, stehen schon die ersten Veranstaltungen an, vor allem jene, die mit einer gewissen Vorlaufzeit geplant werden mussten und die das Pantheon nicht einfach absagen wollte. Zum Glück erweisen sich die freien Bühnen in Bonn als überaus solidarisch – und so konnten etwa die Pantheon-Vorleser in der Harmonie Unterschlupf finden, wo sie sich mit Depressionen, Identitätsfragen, Kneipenbussen und Liebe unter Punkern auseinandersetzten. Also dem ganz normalen Wahnsinn.

Gastgeber, Moderator Und Fruchtfliegenkommunikationsexperte Horst Evers hatte für die von WDR5 aufgezeichnete Lesereihe diesmal mit Tobi Katze, Jakob Hein, Selim Özdogan und Philip „Fil“ Trägert eine bemerkenswert homogene Gruppe versammelt, die mit großem Wortgeschick psychologische Profile skizzierte. So stürzte sich ersterer in die Beschreibung der eigenen Depression (Titel: „Morgen ist leider auch noch ein Tag“), erfreulicherweise aber nicht mit einer von Künstlern wie Nico Semsrott gepflegten Niedergeschlagenheit, sondern vielmehr mit in Wortwahl und Duktus von Thorsten Sträter inspiriertem Witz. Auf diese Weise verweigerte er sich in der Darbietung allen Klischees – und verlieh erst dadurch dem an sich natürlich bewusst überzeichneten Text ein entsprechendes Gewicht. Als der Protagonist des Buches seinem Vater sein Leiden erklärte, war dies sowohl schreiend komisch als auch von ungeheurer Ernsthaftigkeit erfüllt. „Es fehlt die Kontrolle über das Wollen“, erklärte Katze die Depression, so wie eben einem Querschnittsgelähmten die Kontrolle über seine Beine abhanden komme.

Jakob Hein konnte dazu nur verständnisvoll mit dem Kopf nicken. In seinem eigenen Buch hat der Berliner allerdings seine Arbeit als Psychiater ausgespart und sich lieber auf die Geschichte eines Mannes konzentriert, der plan- und ahnungslos die Wiedervereinigung auszunutzen versucht und sich so irgendwie durchs Leben mogelt. Eine weitaus gemütlichere Geschichte mit Charme, die nicht zuletzt von den Dialekten profitierte, die Hein in seiner Lesung geschickt einsetzte, ohne mit ihnen zu übertreiben und sie so ins Lächerliche zu ziehen.

Derweil suchte Selim Özdogan beziehungsweise sein Protagonist Krishna Mustafa nach sich selbst. In dem Roman „Wieso Heimat, ich wohne zur Miete“ will der in Deutschland aufgewachsene Kölner türkischer Herkunft während eines Aufenthalts in Istanbul seine Wurzeln verstehen, inklusive des Islams. Doch gerade den findet er nicht. Stattdessen jede Menge Kirchen und ganzjährig brennende Weihnachtsbeleuchtung. Irritierend, wenn man sich über die eigene Identität klar werden will und erst ordentlich graben muss, bevor man auf seine Wurzeln stößt – ein Gefühl, das sich auch in der Art des Lesens bemerkbar machte. Derartige Probleme hatte Fil derweil nicht: Sein Punkermärchen, das in den 80ern spielt, setzt schließlich eine absurde Begebenheit an die nächste, getragen von einer herrlichen Bildsprache und skurrilen Vergleichen. Sei es eine Figur namens Speichel, deren Aktionen schlichtweg sinnbefreit sind, oder der mit einigen Komplikationen gepflasterte Versuch einer Beschneidung, normal ist in Fils Buch nichts. Dies sorgte in der Harmonie immerhin für umso mehr Gelächter und bildete so einen gelungenen Abschluss einer starken Lesebühne.

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