„In meinem Hals steckt eine Weltkugel“: Verdrängung als Selbstschutz

Eine Milliarde Menschen leiden Hunger. Eine Tatsache, der sich jeder nur allzu sehr bewusst ist – und die doch so gerne ignoriert wird. Oder zumindest nicht so wirklich berührt. Diesen Verdrängungsmechanismus nehmen acht Mitglieder des Jungen Ensembles Marabu nun in Gerhard Meisters Stück „In meinem Hals steckt eine Weltkugel“ unter die Lupe. Und stellen in einer brillanten Mischung aus Groteske und Kabarett-Verhandlung fest, warum uns der Hundehaufen vor der Tür mehr aufregt als die Hungertoten auf der anderen Seite der Welt. Warum wir Alpträume von Horrorfilmen bekommen, nicht aber von der Realität. Und warum wir uns deswegen noch nicht einmal wirklich schuldig fühlen können.

Die Antwort lautet Verdrängung. Ein Schutzmechanismus vor der eigenen Moral. „Ich kann nicht allen helfen“, sagt eine der Schauspielerinnen, nachdem sie und ihre Mitstreiter Fotos potenzieller Patenkinder aus aller Welt an die Wand geklebt haben. „Ich habe die Wahl zwischen Schulausbildung und Hungertod.“ Was tun? Einem Kind eine Ausbildung ermöglichen oder dreien das Leben retten, nur um sie dann der Hoffnungslosigkeit preiszugeben? Was ist das denn für eine Wahl? „Das ist Selektion. Das ist Auschwitz“, bricht es da aus einer heraus. Kein glücklicher Vergleich, doch die Botschaft kommt rüber. Zumal jeder, der hilft, ein bisschen wie Oskar Schindler ist und daran zu zerbrechen droht, nicht noch mehr Menschen gerettet zu haben. Kein Wunder, dass viele lieber den Kopf in den Sand stecken. „Ich lebe weil ich verdränge“, heißt es dann. „Damit helfe ich wenigstens mir selbst.“

Eine Lösung für dieses emotionale Dilemma kann und will das Theater Marabu in der gut einstündigen Inszenierung nicht geben. Wie auch? Das Elend ist schlichtweg zu groß. Eine Milliarde Hungernde – diese Dimension überfordert jeden Geist. Und dabei sind die zahllosen Kriegstoten noch gar nicht einbezogen, deren Blut in jedem Handy steckt, in jedem Schmuckstück und in jedem Liter Benzin. Dabei geht es in dem 2011 uraufgeführten „In meinem Hals steckt eine Weltkugel“ gar nicht so sehr um Schuldzuweisungen oder um ein schlechtes Gewissen. Sondern in erster Linie um ein Bewusstmachen. Nicht immer nur wegschauen, sondern hinsehen und begreifen: Der Wohlstand des Westens ruht auf einem Fundament aus Leichen. Und wir bemängeln den Gestank. Oder regen uns über Hundehaufen auf.

Die Marabu-Regisseure Tina Jücker und Claus Overkamp haben mit ihrem Jungen Ensemble einmal mehr eine Meisterleistung abgeliefert. Die Balance zwischen Absurdität und Ernsthaftigkeit funktioniert hervorragend, transportiert eindringlich die Zerrissenheit einer Generation, die unbeschwert leben möchte und zugleich nicht länger wegschauen kann. Die Jungschauspieler im Alter zwischen 17 und 24 Jahren überzeugen kollektiv, verlieren selbst in Momenten völliger Überzeichnung nie das Thema aus den Augen und finden jederzeit den richtigen Ton. Trotz Weltkugel im Hals. Das muss man auch erst einmal hinkriegen.

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Kommentare: 3
  • #1

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