Rockaue: Sommerparty zwischen Pop und Hardcore

Jetzt also ausnahmsweise mal eine Wall of Love. Wie schön. Mal was anderes bei dieser Ausgabe der Rockaue, die nach der Premiere im vergangenen Jahr noch größer, noch leidenschaftlicher und vor allem noch besser sein will. Da kann ein bisschen Liebe ja wohl nicht schaden. Singer-Songwriter Philipp Dittberner, der mit seinem Song „Wolke 4“ derzeit im Radio omnipräsent ist, setzt bei seinem Auftritt im Rahmen des eintägigen Open-Air-Musikfestivals in der Bonner Rheinaue auf jeden Fall ganz bewusst auf den Kontrast zu der anderen großen Bühne ein paar Meter weiter, will sich absetzen von der Rock 'n Heavy Stage, die in diesem Jahr von Metal- und Hardcore-Bands beherrscht wird, wo die Wall of Death, das pogomäßige Aufeinanderzustürmen, eine Selbstverständlichkeit. Also eine Wall of Love, mit Umarmungen statt Rempeleien. Und auch wenn gerade am Rande einige Zuhörer angesichts dieses gekünstelt wirkenden Gutmenschentums die Augen verdrehen, geht Dittbergers Plan auf.

Diese Episode steht exemplarisch für die gesamte Rockaue 2016. In dem Bemühen um mehr Diversität hat das Team um Organisatorin Maria Hülsmann die Extreme gestärkt, ist auf der Main Stage deutlich poppiger geworden und anderenorts deutlich härter. Eigentlich schon zu hart. Denn während Hardcore-Fans zu Bands wie Deez Nuts, Monument oder Heart Of A Coward feiern, die mit hämmernden Bässen und aggressivem Shouting rohen, ungefilterten Emotionen Klang verleihen, können die meisten anderen der knapp 15.000 Besucher mit dieser Spielart nicht sonderlich viel anfangen. Und wohin ausweichen? Auf der Electronic Stage, die unglücklicherweise in Hörweite der Main Stage liegt und sich mit ihren stampfenden Beats irgendwie gegen diese durchsetzen muss, legen DJs wie Tim Engelhardt und Re.You auf, während die neu hinzugekommene World Beat Stage nahe der Halfpipe mit ihren Goa-Rhythmen nicht so recht angenommen wird. Und was ist mit ehrlich-erdigem Rock, der immerhin der ganzen Veranstaltung ihren Namen gibt? Den muss man leider mit der Lupe suchen. Am ehesten wird man noch an der Local Stage fündig, die etwas abseits am Fuße der Straßenbahnhaltestelle Rheinaue steht und dort mal exzellenten Rock 'n' Roll bietet (Foggy Mountain Rockers), dann wieder deftigen Bluesrock (Lord Bishop) – oder einfach Drei-Akkord-Straßenrock mit Striptease-Unterstützung (Slin's Straßenköter). Alles hörens- und sehenswert, aber dennoch kein Vergleich zum vergangenen Jahr, als mit Jennifer Rostock und Schandmaul gleich zwei massenkompatible Headliner das Publikum in Scharen anzogen.

Gut, dieses Mal sind immerhin ab 22.30 Uhr Culcha Candela auf der Hauptbühne zu sehen, die längst ihre guten HipHop-Zeiten hinter sich gelassen haben und nach einer gut zweijährigen Auszeit und dem Weggang zweier Bandmitglieder poppiger (und belangloser) klingen als jemals zuvor. Das muss doch für das Partypublikum reichen, das zuvor bereits Kenay, Tonbandgerät, den exzellenten OK Kid und den bereits erwähnten Philipp Dittberner bejubelte. Dabei können die Berliner mehr als nur gute Laune vrebreiten, können auch durchaus Haltung zeigen, wie etwa der Klassiker „Schöne Neue Welt“ beweist. Andererseits ist lustiges Rumgehüpfe dann doch einfacher. Womit es am Ende tatsächlich ein verbindendes Element zu den Metalcore-Hörern gibt, die zeitgleich zu den sich in alle möglichen Richtungen offenen Stücken von Eskimo Callboy auf und nieder gehen. Brachiales Klanggewitter trifft auf tanzbare Versatzstücke und Harmoniegesang: Eine interessante Mischung, die aber ebenso viele Leute verschreckt wie anzieht.

Letztlich hat die Rockaue zwar für viel berechtigen Jubel gesorgt, aber zugleich gezeigt, dass sie ihre Findungsphase noch nicht abgeschlossen hat. Das deutlich zurückgegangene Besucherinteresse spricht für sich und wird mit Sicherheit eine andere Ausrichtung des Line-Ups für das kommende Jahr nach sich ziehen. Immerhin haben Hülsmann und ihr Team aber gezeigt, dass sie kritikfähig sind: Der Mangel an Toiletten, der im vergangenen Jahr für ziemlichen Unmut gesorgt hatte, wurde ebenso behoben wie der einst langsame Einlass und die Taktung der Busse und Bahnen. Unter den Besuchern war die Stimmung gut, das Wetter war perfekt – und alles andere wird sich finden. Vielleicht schon im nächsten Jahr.

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