„Macbeth over Europe“: Taumel zwischen Schuld und Macht

Macbeth ist eine zerrissene Figur. Ein machthungriger Adeliger mit despotischen Zügen, aber zugleich von Schuldgefühlen geplagt, sich selber in Frage stellend, die Diskrepanz zwischen Verlangen und Moral nicht auflösen könnend. In ihm, dem von Gewalt, Angst, Hoffnung und Verzweiflung angetriebenen Shakespearschen Schottenkönig, sieht das Bonner fringe ensemble somit eine Spiegelung des europäischen Gemüts. Auch der Kontinent schwankt schließlich und greift mitunter zu extremen Maßnahmen. Grund genug, diese Verbindung in theatrale Form zu packen. Im Rahmen des zweiten Projekts der Reihe „Das große Welttheater“ haben die Bonner daher Autoren aus Lettland, Kroatien, Russland, Frankreich, Deutschland und der Türkei beauftragt, entsprechende Texte zu schreiben. Das so entstandene Konglomerat der ineinander verwobenen Einzelstücke kam nun unter dem Titel „Macbeth over Europe“ im Endenicher Theater im Ballsaal zur Uraufführung und erwies sich als mitunter recht abstraktes, aber immer kritisches und letztlich dank seiner Vielfältigkeit sehr sehenswertes Werk.

Einfach machen es Regisseur Frank Heuel und die sechs Autoren dem Publikum in dem gut zweistündigen Stück nicht: Permanente Konzentration ist gefordert, um alle Bezüge zu verstehen, alle Andeutungen und alle Kommentare, die nicht immer so offensichtlich sind wie der Verweis auf die Zensur Russlands gleich zu Beginn. Wenn jedem – symbolisch auch der ersten Reihe des Publikums – der Mund verboten wird und Andersdenkende im besten Falle überhört und im schlimmsten diskriminiert und verfolgt werden, ist Macbeth in seiner Selbstherrlichkeit nicht weit, um jeden potenziellen Banquo aus dem Weg zu räumen. Ebenso lässt sich durchaus hinter dem Aufstand kroatischer Arbeiter gegen raffgierige Kapitalisten der Schatten des heranziehenden Waldes von Birnam erahnen. Doch es wäre zu leicht, würde das Stück auf dieser Ebene verweilen. Gleich zweimal mäandert es vielmehr ins Meta-Theater, holt mal den Autor Alexander Molchanov auf die Bühne, der seinem Macbeth die eigene Lesart erklären muss, und lässt dann wieder einen Schauspieler auftreten, der seine Rolle mit der eigenen Identität in Einklang zu bringen versucht und dabei das Publikum zu einer Tour de Force in die Seele des europäischen Künstlers mitzieht.

Besonders sperrig erweist sich letztlich Lothar Kittsteins Beitrag. Der Bonner Dramatiker bindet zu wiederholten Schreien von Nicole Kersten die vier männlichen Schauspieler des Ensembles ( Maciek Brzoska, David Fischer, Manuel Klein und Oleg Zhukov) in eine Mischung aus Abzählreim, Kunsttheorie-Diskurs und Weltmüll-Anklage ein, bei der die Verbindung zu Macbeth mehr als Feigenblatt denn als zentraler Kern erscheint. Worauf diese Szene abzielt, bleibt offen. Eine von vielen Fragen, die das Stück hinterlässt, was natürlich grundsätzlich nichts Schlechtes ist. Immerhin soll Theater ja zum Nachdenken anregen. So So erscheint es nur konsequent, dass am Ende weitere Fragen hinzukommen. 350, um genau zu sein, die Nicole Kersten ins Publikum schmettert und die letztlich in ihrer Summe Ausdruck Ausdruck kollektiver Unsicherheit in unsicheren Zeiten sind. Die passenden Antworten zu finden, ist dabei äußerst mühsam – kein Wunder also, dass all jene Kräfte Zulauf finden, die mit einfachen Parolen Lösungen verspricht. Nur dass es die für Europa ebenso wenig geben kann wie für Macbeth.

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