Judy Collins: Ein lupenreiner Folk-Diamant

Die Zeit scheint Judy Collins grundsätzlich etwas anders zu berühren als die meisten Menschen. Zögerlicher. Vorsichtiger. Freundlicher. 77 Jahre ist die Grande Dame des Folk inzwischen alt, auch wenn man ihr das nicht im geringsten ansieht – und erst recht nicht anhört. Bei einem Konzert im Bonner Pantheon im Rahmen der ersten Deutschland-Tour seit 45 Jahren hat sie nun mit ihrem glasklaren, glockenhellen Sopran, ihrem Charme und ihrem Witz von der ersten Sekunde an alle in ihren Bann gezogen.Zwei Stunden lang Collins pur: Was für eine bemerkenswerte Erfahrung.

Die Folk-Lady ist aber auch eine Legende: Ihr hat Stephen Stills von Crosby, Stills & Nash mit „Suite Judy Blue Eyes“ ein Denkmal gesetzt, sie hat Leonard Cohen in seinem Wandel vom Dichter zum Sänger bestätigt (und mit ihrer Version von „Suzanne“ einen großen Hit), in ihrem Wohnzimmer im Greenwich Village schrieb Bob Dylan „Mr. Tambourine Man“. Davon erzählte Collins, die sich im Pantheon offensichtlich wohl fühlte, nur zu gerne, sang immer wieder einzelne Lieder an, dabei ein ums andere Mal ihre Qualitäten zeigend (bei „Surabaya Johnny“ und „Lili Marleen“ wandelt sich der Sopran auf einmal in einen rauchigen Marlene-Dietrich-Alt), nur um dann weiterzuhuschen – es gibt einfach zu viele Stücke, die für sie relevant waren und sind. Aus dem selben Grund verband Collins auch gerne Lieder miteinander, wechselte etwa von „Leaving On A Jet Plane“ zu „Country Roads“ und band dabei sogleich das Publikum mit ein. Das half gerne, ebenso wie bei einem Texthänger bei „Suzanne“. Kann ja mal passieren.

Vor allem in ihren frühen Jahren als Sängerin war Judy Collins in erster Linie Interpretin, nicht Songschreiberin. Doch nicht nur hatte sie schon immer ein besonderes Ohr für starke Lieder, sondern auch einen besonderen Zugang zu ihrer Form. Bei ihr passt sich der Rhythmus dem Text an, nicht umgekehrt – die Musik muss somit eine gewisse Freiheit besitzen, muss sich ihr anpassen. Kein Problem für Judy Collins, die sich im Pantheon ohnehin selbst an der Gitarre begleitete und mit Russell Walden einen exzellenten und einfühlsamen Pianisten an ihrer Seite hatte. In der zweiten Konzerthälfte nahm sie auch noch dessen Platz ein, war ganz alleine auf der Bühne, um einige Songs aus eigener Feder zu präsentieren, darunter das exzellente „Blizzard“. Doch am stärksten war die 77-Jährige tatsächlich bei Titeln, die sie von oder auch mit anderen aufgenommen hat. So gehörte neben den beiden Joni-Mitchell-Kompositionen „Chelsea Morning“ und „Both Sides, Now“, die Collins in den 60ern als Erste populär gemacht hatte, vor allem das großartige „When I Go“, das als Duett mit Willie Nelson auf ihrer neuen CD „Strangers Again“ zu finden ist, zu den Höhepunkten des Abends. Und natürlich „Send In The Clowns“, der größte Erfolg in ihrer Karriere. Unzählige Künstler haben diesen Titel bereits aufgenommen, darunter Shirley Bassey, Barbra Streisand und Zarah Leander – doch Collins' Version vermag es immer noch in ganz besonderem Maße, eine Gänsehaut zu erzeugen. So endete der Abend denn auch mit überwältigendem Jubel, zwei Zugaben und stehenden Ovationen für eine Frau, vor der selbst die Zeit Respekt hat. Und das völlig zu Recht.

Übrigens hätte der Abend auch für das Pantheon kaum besser laufen können: Unmittelbar vor dem Konzert machte der Kulturausschuss in einer Sondersitzung endgültig den Weg für den Umzug des Kleinkunsttempels auf das Gelände der momentan noch vom Theater Bonn genutzten Halle Beuel frei. Die Stadt gewährt demnach dem Pantheon einen Investitionskostenzuschuss in Höhe von 1,6 Millionen Euro, der über 20 Jahre abgezahlt werden soll. Die Pantheon-GmbH trägt weitere 400.000 Euro bei, deren Chef Rainer Pause bürgt zudem privat mit 500.000 Euro. Damit kann, sobald die entsprechenden Verträge unterschrieben sind, zumindest unter diesen Teil der in der Stadt schwelenden Kulturdebatte ein Schlussstrich gezogen werden. Doch mit dem zuletzt begonnen Feldzug des Bonner Sportbundes gegen das Theater Bonn und dessen Wunsch nach einer frühzeitigen Vertragsverlängerung für Generalintendant Bernhard Helmich droht weiterer Ungemach. Das Thema wird die Stadt wohl leider noch länger beschäftigen.

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