„Ein splitternackter Mund“: Chaotisch-verschmitztes Tingeltangel

So ganz kann man sich nicht entscheiden: Ist es eine Hommage oder eine Parodie auf Frank Wedekind, die das Ensemble des Theaters Die Pathologie hier zum Besten gibt? Wahrscheinlich ein bisschen von beidem. Der Autor und Dramatiker, der Ende des 19. Jahrhunderts mit seinen Satiren, Spott- und Schmähliedern und seinen gesellschaftskritischen Theaterstücken für Aufsehen sorgte, hatte selbst immerhin schon zu Lebzeiten damit gerechnet. "Der Schauspieler ist ein muntrer Gesell, Er hat ein beneidenswert dickes Fell. // Er wird sich nicht im geringsten genieren, Mich mit dieser Satire zu parodieren", schrieb er in einem Gedicht, das Maren Pfeiffer, Markus-Maria Vogel und Michael Policnik offenbar zur konzeptionellen Grundlage ihrer Collage "Ein splitternackter Mund" gemacht haben. Denn tatsächlich nimmt das Schauspieler-Trio weder sich selbst noch Wedekind allzu ernst. Eigentlich ein guter Ansatz. Wenn sie nur auf einen vorhergesagten Aspekt verzichtet hätten: "Was nicht immer gleich gut gelingt, // Ist die Art, wie er seine Spottlieder singt."

Tatsächlich ist die musikalische Umsetzung des Wedekind-Abends die größte Schwachstelle der Inszenierung. Vor allem Maren Pfeiffers Intonation wackelt immer wieder, zumal sie im Stil von Brechts epischem Theater versucht, die Lieder nicht nur zu singen, sondern sie auch zu spielen. Dabei übertreibt sie es aber gerne, will zuviel und vergisst dabei das Wesentliche: Die Töne zu treffen und Bögen oder Linien zu präsentieren, was etwa bei "Galathea" vollends daneben geht. Das gelingt ihren beiden Kollegen besser, die mit weitaus weniger Anstrengung weitaus mehr erreichen. Vor allem Michael Policnik offenbart sich als gefühlvoller Interpret, der mühelos zwischen Melancholie und Bissigkeit zu wechseln vermag. Genau die richtige Mischung.

Nichts desto trotz herrscht auf der Bühne das Chaos. Zum Teil bewusst - doch ob es sonderlich geschickt ist, dass die Schauspieler immer wieder Requisiten suchen müssen und ansonsten mehr in die Textblätter denn in die Gesichter des Publikums blicken, kann bezweifelt werden. Großartig ist es dagegen, wenn die drei Schauspieler aus ihren Rollen fallen, aus dem Tingeltangel der Kaiserzeit ins Hier und Jetzt geraten und kurzerhand den einst wegen Majestätsbeleidigung verurteilten Wedekind mit Jan Böhmermann in Beziehung setzen oder bei einem längeren Gedicht aufatmen, als es endlich beendet ist. Das ist eine Art von Kabarett, die dem Ur-Scharfrichter Frank Wedekind gerecht wird, ganz ohne Überzeichnung. Wenn man denn überhaupt spielen muss, sprechen doch viele seiner Texte (die sexuell aufgeladenen Verse, die Moritaten, die Kritik an Scheinheiligkeit und Prüderie) schon für sich. Man muss sie nur wirken lassen. Dann kommen sowohl Homage als auch Parodie von ganz allein.

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