Timo Wopp: Der Moral-Jongleur

Woran glauben wir? An Recht und Moral? Aber an welche? Wer sagt denn, was richtig ist und was verwerflich, was angemessen und was nicht? Alice Schwarzer etwa? Friedensnobelpreisträger Barack Obama mit seinen Drohnenkriegen? Der Papst? Oder vielleicht Gandhi, der sich bei all seinen friedvollen Lehren durchaus auch rassistisch gegenüber Afrikanern geäußert hat und somit zumindest in einigen Bereichen auch keine blütenreine Weste hat? Wer hat heute noch einen moralischen Kompass, der die Menschheit davon abhalten kann, zu einer Horde von an Mitteilungsinkontinenz leidender Online-Psychopathen zu mutieren, von denen jeder sich für den einzig wahren Propheten des schizophrenen Volkswillens hält? Schwere Fragen, denen Timo Wopp im Pantheon nachgeht. In seinem neuen Programm jongliert der 39-jährige Kabarettist mit political correctness, verkapptem Sexismus und dogmatischen Überzeugungen – und lässt dabei die einzelnen Bestandteile auch gerne mal auf den Boden der Tatsachen fallen. Oder ins Fettnäpfchen.

Natürlich sind diese vermeintlichen Missgeschicke präzise durchgeplant. Wie schon in seinem ersten Programm „Passion“ liebt Wopp es, mit bitterböser Satire für geschockte Gesichter zu sorgen, liebt das hörbare Rattern der Gehirngänge, während das Publikum sich verzweifelt fragt, ob es über so viel Dreistigkeit entsetzt oder amüsiert sein soll. Gnadenlos drischt er vor allem auf Frauen und Kinder ein, insbesondere auf die eigene Familie – die eigene Tochter vermisse ihn noch nicht einmal, und die tyrannische, faule Gattin bringe ihn mit ihrer Dominanz ebenfalls um den Verstand. Dies sorgt vor allem in der ersten halben Stunde für Irritationen, bis Wopp aufklärt über sein homöopathisches Kabarett, das den Sexismus auf der Bühne zeigt, um ihn dadurch zu bekämpfen. Das lindert zumindest die Befürchtung, ein weiteres überzeichnetes Eltern- oder Ehepartner-Programm zu sehen, in denen sich Komiker über Latte-Macchiato- und Bio-Mütter auslassen, ob die jetzt am Prenzlauer Berg oder in Köln-Sülz wohnen, oder sich über die Tücken des vermeintlich schwachen Geschlechts auslassen. Diese Klischees bedient der Satiriker zwar auch, geht aber zum Glück darüber hinaus. Denn seine Angriffe auf die Frauen, die alleine schon deshalb viel stärker in Führungspositionen zu finden sein sollten, weil sie ja bekanntermaßen Konflikte viel harmonischer und höflicher löst als die primitiv-aggressiven Männer, führen letztlich tatsächlich zu einer Auseinandersetzung mit geschlechterneutraler Erziehung einerseits und Gleichberechtigung andererseits. Wer die Unterschiede zwischen Mann und Frau konsequent wegdiskutieren möchte, sollte auch einem gemischten Boxkampf zustimmen, keine Angst vor Unisex-Toiletten haben und kein Gentleman-Verhalten mehr erwarten. Gleiches Recht für alle. Auch wenn das mitunter weh tut.

Doch Moment, eigentlich sollte es doch um Moral gehen, um Leitbilder und Glaubenssätze. Darum, was richtig ist. Doch letztlich fordert Timo Wopp mit seinen Attacken das Publikum dazu auf, selbst Position zu beziehen und sich so selbst eine Antwort auf die drängende Frage zu geben. Ist es moralisch, wenn jemand vegan lebt und gleichzeitig mit dem iPhone nach Fair-Trade-Produkten googelt? Oder wenn man dem eigenen Kind auf dem Spielplatz sagt, es solle nicht mit bestimmten Kindern spielen, sich ansonsten aber gegen Apartheid ausspricht? Oder wenn man sich über lautstark geäußerte obszöne Schimpfereien empört, die rechtsradikalen Kommentare im Internet aber unkommentiert lässt? Was ist Moral? Eine gute Frage, auf die auch Timo Wopp keine Antwort kennt. Er wirft lediglich Fragen auf. Und wenn es gar nicht mehr weitergeht, jongliert er eben. Mit Boxen, mit Keulen – und mit Vorurteilen. So wie letztlich jeder Mensch.

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