Matthias Deutschmann: Kabarettistische Sonate

Die Welt ist aus den Fugen. Klar: „So, wie wir sie uns zurechtgelogen haben, funktioniert sie nicht mehr“, sagt Matthias Deutschmann im Pantheon. Und hat Recht. Eine Illusion nach der anderen zerplatzt – das vereinte Europa, der stabile Kapitalismus einer sozialen Marktwirtschaft, selbst die Unangreifbarkeit der Kanzlerin fallen in sich zusammen wie auf Sand gebaute Kartenhäuser. Auch wenn es keiner wahrhaben will. Bis auf Deutschmann, den selbst ernannten Hofnarren der Aufklärung, der dank dieser Position in seinem neuen Programm „Wie sagen wir's dem Volk?“ Wahrheiten aussprechen kann, die ansonsten von der Diskurs-Polizei unterdrückt würden. Oder einfach von der Sehnsucht des Volks nach Augenwischerei und Verblendung. Das Leben ist eben viel einfacher, wenn die Realität nur die zweite Geige spielt.

Doch in dieses Streichkonzert stimmt Deutschmann nicht ein. Ganz bewusst hat er sein geliebtes Cello diesmal zu Hause gelassen, um die eigene Verstimmung nicht auch noch instrumental, sondern lediglich verbal zum Ausdruck zu bringen. Was nicht heißt, dass er der Musik abgeschworen hat. Nein, sie verbirgt sich weiterhin hinter dem von ihm komponierten Text, in dem es nur so wimmelt von Leitmotiven samt dazugehörigen Variationen in aggressivem Moll und offenbarerischem Dur, die mal deutlich hervorstechen und dann wieder von diversen Ober- und Untertönen begleitet werden. In einer Tour de Force greift Deutschmann mit der von ihm gewohnt kultivierten Nervosität so ziemlich jedes Thema auf, das derzeit Dunkel- und Schunkeldeutschland bewegt, und dekonstruiert dabei so manche Schlachtrufe. „Wir sind das Volk“  wirklich? „Sind wir noch ein Volk oder werden wir gerade bevölkert?“ Und wollen wir derart völkische Fragen überhaupt stellen? Zumindest wenn wir uns unserer Vergangenheit bewusst sind?

Mit der deutschen Geschichte kennt Matthias Deutschmann sich bestens aus. Immer wieder zieht er Parallelen, schaut zurück, um nach vorne zu schauen oder um mitunter gar nostalgischen Gedanken nachzuhängen. Auch das Pantheon kommt darin vor, das im Sommer in die Halle Beuel umzieht, weil das Kellergewölbe am Bundeskanzlerplatz abgerissen wird. Hier hat Deutschmann bei der Eröffnungsgala 1987 gespielt, zusammen mit dem viel zu früh verstorbenen Matthias Beltz. „Uns war die politische Aussage früher alles“, sagt er. Das gilt immer noch. Nur gibt es inzwischen schlicht zu viele unüberschaubare Aspekte, die es anzusprechen gilt. Und so schwebt Deutschmann wie ein Geist über den kabarettistischen Wassern, immer wieder eintauchend, die wahre Tiefe aber oft nur andeutend. Und dann geht es weiter, scheinbar willkürlich zum nächsten Thema. Chaotisch wirkt das, beliebig, wie ein Umherrirren im Labyrinth der gesellschaftspolitischen Gemengelage, aber ohne roten Faden. Auch das ist eine Illusion, die aber im Gegensatz zu manchen anderen hält. Was will Deutschmann uns sagen, diese Frage stellt sich immer wieder. Nur ist sie der falsche Ansatz. Er will eben nichts sagen. Sondern lediglich zum Denken anregen, Impulse geben. Im Spiel des 57-Jährigen gibt es schon allein deswegen nur selten klare Pointen – die muss man schon selber finden. Was zumindest im Pantheon recht gut gelingt. Das Publikum feiert Deutschmann auf jeden Fall mit tosendem Applaus. 

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