„Flüchtlingsgespräche“: Im Wartesaal zur Menschlichkeit

Ohne Pass kommt man nicht besonders weit. Als Flüchtling schon gar nicht. Der Mensch ist zweitrangig, die Papiere zählen. Ordnung muss schließlich herrschen, Humanität sich unterordnen. Schon Bertolt Brecht hat dies erkannt. Seine „Flüchtlingsgespräche“, die Ende der 30er Jahre entstanden und 1961 posthum veröffentlicht wurden, sind heutzutage in vielen Teilen aktueller denn je. Das Euro Theater Central hat diesen nicht ganz einfachen Text nun auf die Bühne gebracht – und mit einer skurrilen Mischung aus Slapstick und Didaktik eine bemerkenswerte Inszenierung geschaffen, die Brechts epischem Theater ebenso gerecht wird wie Samuel Becketts absurdem.

Regisseurin Gabriele Gysi hat die Parallele zu „Warten auf Godot“ ganz bewusst gezogen. Bei ihr verharren die beiden Gesprächspartner (die im Gegensatz zur Vorlage sowohl namen- als auch berufslos und so zugleich Niemand und Jedermann sind) ebenso orientierungslos in einer beständigen Grenzsituation wie Wladimir und Estragon, geparkt zwischen immer mehr Koffern und Taschen auf einem Transitbahnhof ins Ungewisse. Dabei sind gerade sie, die noch nicht an die herrschenden Verhältnisse angepasst sind und die nach einem kurzen charmanten Willkommensgruß (durch Regieassistentin Nina Dahl) aufs Abstellgleis geschoben werden, zu einem analytischen Blick in der Lage: Während andere es vermeiden, scharf zu denken, weil dies ein schmerzhafter Prozess sein kann, opfern sich die beiden Flüchtlinge gerne, um so einige gesellschaftliche Konstrukte zu sezieren. Die Volkswirtschaft etwa, die in ihrer Komplexität ohnehin kaum noch verstanden werden kann. Die Reise-, Meinungs- und Pressefreiheit, die natürlich gezwungenermaßen nicht zu weit getrieben werden darf, um auch ja keine Gefühle zu verletzen. Oder der mechanisierte Krieg mit Panzern und Drohnen (eine von nur einer Handvoll unscheinbarer Modernisierungen, die Gysi vorgenommen hat), um das schwarze Gold zu ergattern. Blut mag ja dicker sein als Wasser, aber „Öl ist dicker als Blut“, wie die beiden Figuren erkennen. Man muss halt Prioritäten setzen. Und vor allem dann, wenn eine positive Korrelation zwischen Viskosität und Liquidität besteht, ist die Marschrichtung klar.

Auf der Bühne agieren Charlotte Welling in ihrer Euro-Theater-Premiere sowie Richard Hucke in einem anstrengenden Taumel aus Emotionalität und gnadenloser Überzeichnung. Immer wieder schaffen sie Distanz, müssen diese schließlich auch schaffen, um Brechts Forderung von einer Abgrenzung zum aristotelischen Theater zu Gunsten einer Dialektik gerecht zu werden. Für Schauspieler und Publikum ist dies gleichermaßen eine Herausforderung: Die ständigen Brüche, ausgelöst durch Lachattacken, Tanzeinlagen und Kusssequenzen, fordern mitunter ihren Tribut. Sich einfach einlassen auf die paradoxen Gedankengänge Brechts, das kann man in diesen 85 Minuten nicht. Eine kontinuierliche Reflexion ist vonnöten, ein Hinterfragen jeder geäußerten Doppeldeutigkeit. Welling und Hucke meistern diesen Balance-Akt mit Bravour, immer wieder kippend, aber nie fallend. Nur an wenigen Stellen wirkt die Szenerie übertriebener und artifizieller als nötig – dies dürfte sich aber in den kommenden Vorstellungen einschleifen. Insofern lohnt sich ein Besuch der „Flüchtlingsgespräche“, zumindest für jene, die im Theater eben mehr sehen als nur ein Konsumgut. Einen schärferen, satirischeren Blick auf die Welt als den Brechts wird man auf jeden Fall nicht so schnell finden. 

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