Ulrich Tukur: Swing-Abend mit Fliege

Auch ein Gentleman sehnt sich mitunter nach ein kleinem bisschen Anarchie. Ein Funken Wahnsinn statt der sonst erwarteten Gediegenheit, Klamauk an unerwarteter Stelle – und schon wird ein ohnehin schon heiterer Abend zu einem schreiend komischen Vergnügen der besonderen Art. Let's misbehave! Getreu dieses Mottos haben jetzt Ulrich Tukur und seine Rhythmus Boys Kalle Mews (Schlagzeug), Ulrich Mayer (Gitarre) und Günter Märtens (Kontrabass) in der Bonner Oper sowohl dem Trommel- als auch dem Zwerchfell ein paar Streicheleinheiten verpasst. In ihrem neuen Programm widmete sich das Quartett erstmals in ihrer 20-jährigen Bühnenkarriere den englischen Swing- und Musical-Hits von Cole Porter, George Gershwin und Irving Berlin, übersetzte die Klassiker in wundervoll leichte Arrangements und rief doch immer wieder gerne auch die hohe Kunst des Nonsens auf den Plan.

Für das Publikum galt es, das Unerwartete zu erwarten: Während sich die Band mit verschmitztem Lächeln an jener Kombination aus Lockerheit, feinem Humor und musikalischer Ernsthaftigkeit abarbeitete, die unter anderem die Auftritte von Max Raabe prägen, brach sie doch zugleich kontinuierlich mit diesem Bild der charmanten Tanzkapelle und ließ den Dada-Charme eines Rainald Grebe durchschimmern. Gitarrist Mayer traute sich auch mal im Frauen-Ganzkörpersuit auf die Bühne, während der kleine Mews im Tutu über selbige sprang und der überlange Mertens verschmitzt aus einem noch größeren Anzug hervorlugte. Dann wieder jagten sie in bester Monty-Python-Manier zu Cole Porters Wild-West-Klischeelied „Don't Fence Me In“ umher oder dekonstruierten das Konzept des Abends kurzerhand mit einem an Kraftwerk erinnernden Fliegenlied. Letzteres natürlich nur, um zu beweisen, dass die Düsseldorfer Elektroniker diese und andere Ideen von den Rhythmus Boys geklaut hatten, als sie in den 70ern als deren Vorband beim Burning-Man-Festival in der Wüste Nevadas auftraten.

Dabei generierte sich der sonst am Flügel virtuos spielende Tukur als exzellenter Märchen- und Geschichtenerzähler, wobei die Trennlinie zwischen den Gattungen bei ihm schnell an Unschärfe gewann. Der 58-Jährige erinnerte sich noch genau an die Zeit mit Berlin und Porter, war dabei, als Welthits wie „Begin The Beguine“ oder „Miss Otis Regrets“ entstanden, oder rekapitulierte die Lebensgeschichte der Sängerin Ruth Etting (bekannt für „Love Me Or Leave Me“), die er allerdings geschickt hollywoodisierte. Bei der Musik gingen er und seine Band dagegen den umgekehrten Weg, befreiten Nummern wie „I Can't Give You Anything But Love“ oder „Georgia On My Mind“ von dem überfrachtenden Bigband-Schmalz der vergangenen Jahrzehnte – und setzte lieber auf skurrile Wendungen, Modetänze und Wasserpistolenangriffe. Da ist sie, die Anarchie. „Normal und vernünftig sein, das kann jeder, vorausgesetzt, er hat keine Fantasie“, hat Oscar Wilde einmal gesagt. Tukur und seine Jungs dagegen haben Fantasie und nutzen das zur Freude des begeisterten Publikums gnadenlos aus. Nach mehr als zwei Stunden voller musikalischer Brillanz, augenzwinkernder Poesie und absurder Show spendet dieses stehende Ovationen für das vielleicht beste, auf jeden Fall aber verrückteste Programm von Ulrich Tukur und den Rhythmus Boys. Zu recht. So viel Spaß hat ein Swing-Abend schon lange nicht mehr gemacht.

Kommentar schreiben

Kommentare: 0