Die Bedrohung kommt von oben. Der Himmel ist schwarz voller Vögel, die sich satt fressen wollen an den Menschen. Dieses Horror-Szenario hat schon Alfred Hitchcock 1963 eindrucksvoll in Bilder übersetzt – nun zeigt Matthias Brandt mit einer thematisch ähnlichen Lesung, dass es auch ohne das Medium Film geht. Kopfkino reicht. Alles, was der Schauspieler, der im Rahmen von Quatsch keine Oper nach Bonn gekommen ist, dafür braucht, ist seine fantastische, hypnotische Stimme. Und den Musiker und Klangkünstler Jens Thomas, der an seiner Seite eine bedrohliche Atmosphäre schafft, der zwischen flirrend und krachend, zischend und singend changiert und mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln die Spannung spürbar werden lässt.
„Angst“ lautet der Titel des aktuellen Programms dieses kongenialen Duos, das zuletzt im September 2014 in der Bonner Oper gastierte und damals mit „Psycho“ den Saal in seinen Bann zog. Nun haben
sich Brandt und Thomas eine modifizierte Version von Daphne du Mauriers Kurzgeschichte „Die Vögel“ geschnappt, leicht modernisiert und so umgeschrieben, dass statt einer Familie ein einzelner
Mann gegen die gefiederten Horden kämpft. Möwen, Krähen und Spatzen attackieren zunächst ihn, schließlich das ganze Land. Terror aus der Luft. Und Protagonist Robert ist ganz allein,
zurückgezogen in einem abgelegenen Haus irgendwo am Deich. Diese Einsamkeit verstärkt die Bedrohung nur noch – und bietet Matthias Brandt zugleich die Chance, tief in die Psyche des Mannes
einzutauchen. Mit meisterhafter Erzählkunst legt der 54-Jährige die wachsende Panik Roberts offen, rezitiert in einer Alptraum-Sequenz kurzerhand Poes legendäres Gedicht „Der Rabe“ in brillanter
Manier und steigert sich immer weiter in jene Beklemmung hinein, die seine Figur heimsucht, bis diese irgendwann bar jeder Hoffnung die letzte Zigarette anzündet und auf den Morgen wartet.
Herrlich!
Parallel dazu erschafft Jens Thomas mit Gitarre, Klavier und Gesang seine fantastischen Klangwelten. Dominanter noch als bei „Psycho“ zieht er alle Register vom feinen Triller bis hin zum
gewaltigen Urschrei, reiht Effekt an Effekt und stimmt immer wieder Lieder an, in denen er den Ton angibt und Brandt nur im jeweiligen Refrain zu hören ist. Ein Aufbäumen, und dann wieder
zurückhaltende, dennoch spannungsgeladene Töne. Bis die nächste Kakophonie erwächst. Zugegeben, an ein oder zwei Stellen mag dies ein bisschen mehr sein, als die Situation gerade benötigt, wird
die Dynamik ein wenig überstrapaziert – doch das ist Kritik auf allerhöchstem Niveau, die die phänomenale Leistung des Duos nicht schmälern kann.
Nach gerade einmal 80 Minuten entlassen Matthias Brandt und Jens Thomas das Publikum in die Nacht. 80 Minuten Spannung, die durch ihre Intensität mehr wert sind als drei Stunden Popcorn-Kino.
Draußen geht der Blick unweigerlich in Richtung Himmel, nicht unbedingt aus Angst, eher aus einem unbestimmten Gefühl heraus, dass da oben irgendetwas kreisen könnte. Doch zumindest an diesem
Abend schlafen die Vögel. Hoffentlich bleibt das so. Zumindest außerhalb des Theaters. Von Brandt und Thomas hofft man dagegen, noch mehr hören zu können. Denn was die beiden auf die Bühne
bringen, das ist wirklich ganz großes Kopfkino.
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