The Pretty Things: Angezählt und trotzdem siegreich

KO? Den Begriff kennen The Pretty Things nicht. Schon oft ist die britische Band, die in den 60er Jahren als eine der wildesten Musikformationen ihrer Zeit bezeichnet wurde und die neben der die Rolling Stones nach Aussage des englischen Schriftstellers Nik Cohn wie „die sprichwörtliche Teegesellschaft im Pfarrhaus“ wirkte, als erledigt angesehen worden. Doch das Quintett um die beiden Gründungsmitglieder Phil May und Dick Taylor haben sich immer als Künstler mit Nehmerqualitäten erwiesen, die sich einfach nicht kleinkriegen lassen. Zugegeben, die Zeit hat ihre Spuren hinterlassen, was sich neben dem Offensichtlichen auch daran festmachen lässt, dass die Proto-Punk-Attitüde der frühen Jahre längst einem konservativeren Anstrich gewichen ist – aber rocken können die Hübschen Dinger immer noch, wie sie jetzt in der Harmonie unter Beweis stellten. Wenn denn der Körper mitmacht.

Genau damit hatte aber vor allem Sänger Phil May zu kämpfen. 52 Jahre Musikbusiness, nur wenige davon kommerziell erfolgreich, haben eben ihre Spuren hinterlassen. Immer wieder griff der 71-Jährige zu einer Art Asthma-Spray und sah mitunter so aus, als würde er jeden Moment ausgezählt werden. Doch jedes Mal raffte May sich wieder auf, kämpfte sich zurück ans Mikro und bewies mit seiner außergewöhnlichen Bluesstimme, dass er sich noch nicht zum alten Eisen zählen lassen möchte. Klassiker wie „LSD“, Neuheiten wie „The Same Sun“ oder auch ein paar alte Electric-Banana-Titel, nichts davon hielt May lange unten. In der Hinsicht hatte er Ähnlichkeit mit dem Maracas-Trio, dass May regelmäßig zur Hand nahm: Mit deutlichen Gebrauchsspuren versehen und mehrfach geflickt, aber immer noch funktionstüchtig. Energiegeladen. Und in der Lage, es auch mal richtig krachen zu lassen. Denn spätestens mit einem Triplett aus der ersten Rockoper der Musikgeschichte, dem komplexen Werk „S.F. Sorrow“, hatten The Pretty Things wieder Oberwasser und schlugen mit staubtrockenem Schlagzeug und krachenden Gitarren kräftig zu.

Vor allem Gitarrist und Gründungsmitglied Dick Taylor, der zur Urformation der Rolling Stones gehörte, gab von Anfang an Vollgas und ließ seine deutlich jüngeren Bandkollegen mitunter ganz schön alt aussehen. Drummer Jack Greenwood trommelte sich zwar souverän in die Herzen der Fans und sorgte mit kräftigen, treibenden, aber nicht hetzenden Beats für ein exzellentes Fundament – Co-Gitarrist Frank Holland und Bassist George Woosey wirkten dagegen zunächst etwas lethargisch. Letzterer wurde erst munter, als er bei „Dirty Song“, einem Titel des erst in diesem Jahr erschienenen Albums „The Sweet Pretty Things (Are In Bed Now, Of Course)“, von der Vier- zur Sechssaitigen greifen und ein paar scheinbar von düsterem Grunge inspirierte Riffs zum Besten geben durfte. Ein paar klassische und herrlich minimalistische Blues-Titel später (darunter der Muddy-Water-Titel „I Can't Be Satisfied“), beim krachenden Bo-Diddley-Cover „Mona“ und dem daran anschließenden einstigen Top-Hit „Midnight To Six Man“, strahlte er gar – und das Publikum gleich mit. Sieg nach Punkten für eine der dienstältesten Rockbands. Das soll den Pretty Things erst einmal einer nachmachen.

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