Robert Kowalski & Eva Scheurer: Wortmagie im Milchwald

Es ist der Klang, der an erster Stelle steht. Die Harmonie der Worte. Das faszinierende Spiel der Sprache beherrscht das Œuvre des walisischen Dichters Dylan Thomas, der wie so viele große Künstler viel zu früh, mit gerade einmal 39 Jahren, im November 1953 verstarb. Im Euro Theater Central haben Rudolf Kowalski (unter anderem bekannt durch die TV-Krimiserien „Bella Block“ und „Stolberg“) und seine Frau Eva Scheurer nun eine Art Portrait des großen Poeten gezeichnet, das keinen Anspruch auf biographische Vollständigkeit erhebt, dafür aber mit Wucht jenen Zauber erweckt, der in Werken wie „Unter dem Milchwald“ eingewoben ist. Und damit Thomas wahrscheinlich am ehesten gerecht wird.

Kowalski und Scheurer sind ein perfekt eingespieltes Team: Mühelos werfen sie sich die Bälle zu, beenden die Sätze des anderen oder inszenieren Dialoge, die der egomanische, versoffene und doch geniale Dylan Thomas vor allem mit seiner Frau Caitlin geführt hat. Dabei versuchen die beiden, einen Einblick in die Seele des Dichters zu geben, statt eine Chronik seines Lebens auf die Bühne zu bringen, verzichten etwa weitgehend auf die Kindheit, auf die Kriegsjahre, auf den Erfolg als Sprecher in Radio-Hörspielen. Es geht um das Wesen des Walisers, nicht um seine Geschichte. Dazu greifen sie auf Briefe zurück, zitieren aber auch aus der autobiographisch gefärbten Kurzgeschichtensammlung „Portrait of the Artist as a Young Dog“. Vor allem Scheurer wechselt dabei gekonnt von einer Rolle zur nächsten: Die Haltung ein wenig ändern, den Mund verziehen, ein winziges Accessoire und ein anderer Duktus, schon ist die Wandlung perfekt.

 

Doch erst bei der Lesung aus dem (natürlich gekürzten) Haupttext des Abends, besagtem „Unter dem Milchwald“, schöpft das Paar sein gesamtes Potenzial aus. Fast 40 exzentrische Charaktere sind in Thomas' einzigem Theaterstück zu finden, das in einer einzigartigen Collage einen Tag in einem walisischen Fischerdorf beschreibt und die Träume, Wünsche und Sehnsüchte der Bewohner offenbart. Hier die Giftmord-Fantasien, die Mister Pugh gegenüber seiner Frau hegt; dort Metzger Beynon, der gerne über die Qualität und Herkunft seiner Fleischwaren scherzt; und da Captain Cat, der alte blinde Seemann, der in der Nacht von seinen ertrunkenen Kameraden und seiner verlorenen Liebe Rosie Probert besucht wird. Ihnen allen verleihen Kowalski und Scheurer eine Stimme, erwecken sie in kurzen Sequenzen zum Leben, begleitet von der eindrunglichen Akkordeonmusik Helena Rüeggs. Eine großartige Lesung, die dem Leben von Dylan Thomas gleicht, voller Tempo und Energie, facetten- und abwechslungsreich, bunt und schrill – und letztlich zu kurz. Nach knapp anderthalb Stunden lassen die Schauspieler den Wortmagier abtreten. Das Publikum dankt ihnen und ihm mit langanhaltendem Applaus.

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