Plagegeister und Spielkameraden, Vertraute und Erzfeinde: Geschwister können all das auf einmal sein. Und mehr. Regisseurin Christina Schelhas, die sich in der vergangenen Spielzeit bereits mit ihren eigenen Schwestern auf der Bühne auseinandergesetzt hat, hat sich nun einmal mehr dieser Familienkonstellation gewidmet, diesmal aber die Erlebnisse von Bonner Bürgern in Szene gesetzt. Jetzt hat „Blut ist dicker als Wasser“ in der Werkstatt des Theater Bonn Premiere gefeiert – und überrascht mit vielen bewegenden Momenten.
Schon die verschiedenen Konstellationen sorgen für Abwechslung: Da sind die beiden jungen Zwillinge Katharina und Johanna Landsberg, die sich schon im Mutterleib gezofft haben und trotz aller
Wertlegung auf unabhängige Identitäten nicht ohne die jeweils andere leben wollten; dann das Trio Emil, Karlotta und Kornelius Philippsen, immer pendelnd zwischen Neckerei und unzerbrechlichem
Zusammenhalt; die beiden Lettinnen Leonarda Jancis-Parduzi und Nijole Masian, die eine seit Jahrzehnten in Deutschland, während die andere sich erst vor wenigen Jahren aus ihrem „dunklen
Königreich“ befreit und den Schritt in ein neues Leben gewagt hat; und Jochen Meyn als Senior der Truppe, der als Kind von seinem Bruder getrennt wurde und mit seinen diversen Halbgeschwistern
ganz unterschiedliche Erfahrungen machte. Ganz entspannt und mit jeder Menge Spaß legen die Darsteller ihre Familiengeschichte offen und tollen um die aufgebauten acht Schaukeln herum, die die
Bühne beherrschen. Ein Spielplatz der Erinnerungen. Besonders die Briefe zwischen Leonarda und Nijole berühren, strahlen die Worte doch so viel Kraft und Liebe aus, so viel Freude über das
„Paradies“ namens Bonn und so viel Zuversicht auf ein besseres Leben, dass einem ganz warm ums Herz wird. Dazwischen irritieren allerdings skurrile Harlekin- und Akrobaten-Szenen im Stil der
Stummfilmzeit, deren inhaltliche Relevanz sich bei allem Amüsement nicht erschließt, auch wenn vor allem die frechen Eskapaden des kleinen Kornelius für herzhaftes Gelächter sorgen.
90 Minuten lang lachen und streiten die Geschwister in der Werkstatt und zeigen dabei gerade für Laienschauspieler eine exzellente Leistung. Das Ensemble harmoniert hervorragend miteinander,
scheint sich sichtlich wohl zu fühlen und scheut sich auch nicht, das Innerste nach Außen zu kehren. Freimütig eröffnet Karlotta, dass sie mit sechs Jahren einen Schlaganfall erlitt und danach
zeitweilig Schwierigkeiten mit ihrem „Geschwistersinn“ hatte, während Jochen ohne Bitterkeit über Benachteiligungen bei Erbbelangen spricht. Geschwistern verzeiht man eben viel, selbst
Prinzessinnenattitüden und vom Hund zerlegte Kuscheltiere. Nicken und Schmunzeln bei dem ein oder anderen Zuschauer, der automatisch an eigene Kindheitserlebnisse zurückdenken muss, bleiben da
nicht aus. Zu unterhalten vermag „Blut ist dicker als Wasser“ aber so oder so. Dementsprechend kräftigen Applaus spendet das Publikum denn auch bei der Premiere.
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