„Leutnant Gustl“: Fegefeuer der Ehrverletzungen

Da steht er nun, mitten unter den Kneipengästen, und schreit lauthals seine innersten Gedanken in den Raum: Guido Grollmann spielt Leutnant Gustl, jenen selbstgefälligen jungen k.u.k.-Offizier, der aufgrund der Beleidigung eines nicht satisfaktionsfähigen Bäckermeisters seine Ehre verloren zu haben glaubt und an den Suizid denkt. Ein Stück, das Einsamkeit erfordert – und diese selbst im Südbahnhof findet, in dem sich die Zuschauer drängen, um der ersten Premiere des neuen Ensembles Volxsbühne beizuwohnen.

Dieses hatte sich sehr kurzfristig vom Theater Pathologie abgespalten (ursprünglich stand „Leutnant Gustl“ dort auf dem Programm) und versucht mit diesem inneren Monolog unter der Regie von Christoph Pfeiffer einen Neustart.

 

Der ist trotz der begrenzten Möglichkeiten in dem Lokal im Schatten der Ermekeilkaserne dank eines starken Solisten gelungen. Grollmann braucht schließlich nicht viel, um die Rolle zu füllen: Einen aufgemalten Schnurrbart, einen Degen und einen weinerlich-blasierten österreichischen Dialekt, mit dem er so manche Gedankengänge der Lächerlichkeit preis gibt – was durchaus der Intention Schnitzlers entsprechen dürfte. Geschickt nutzt er den Raum, sitzt auf der Heizung, deklamiert am Fenster, flirtet und schimpft in einer Szene an einer Opern-Garderobe, in der es zum Eklat mit dem kräftigen Bäcker kommt, mit den Anwesenden und zieht sich im Anschluss so gekonnt in sich zurück, dass er wahrlich verloren und verlassen wirkt. All die verschiedenen Facetten der Verzweiflung Gustls werden herausgearbeitet, der ständige Kampf zwischen dem Lebenswillen, dem übertriebenen Ehrgefühl und der Langeweile. Dazwischen Spuren von Antisemitismus, den Schnitzler selbst zu spüren bekam – und immer wieder Momente reinster Absurdität. „Unglaublich, weswegen sich die Leut’ totschießen! Wie kann man überhaupt nur eifersüchtig sein?“, fragt sich Gustl an einer Stelle, ohne dabei seine eigenen Selbstmordabsichten in Frage zu stellen. Man verschmerzt eben alles. Außer einem Angriff auf die Ehre und das Militär.

 

All das füllt Grollmann souverän aus und läutet damit den Beginn der Volxbühne ein, die von nun an jeden Donnerstag bei freiem Eintritt im Südbahnhof spielen wird. Wie das auf Dauer funktioniert, etwa wenn bei Hugo von Hofmannsthals „Jedermann“ (auch dieses Stück – sowie Goethes „Erotica Romana“ – hat das Ensemble aus der Pathologie mitgenommen) drei Personen auftreten, wird sich zeigen. Das Theater Pathologie muss derweil in den sauren Apfel beißen, den Verlust von etablierten Stücken verkraften und zunächst einmal umdisponieren. Leicht wird es daher für beide Gruppen nicht. Man kann nur die Daumen drücken. Und beide Häuser besuchen.

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