Crossroads-Festival: Schwarzbier auf dem Weg zur Hölle

Partytime im Rockpalast. Der letzte Tag des WDR Crossroads-Festivals in der Harmonie hätte eigentlich ganz im Zeichen von The Great Crusades stehen sollen, einer von bislang erst drei Bands, die zum zweiten Mal nach Bonn eingeladen worden waren und dementsprechend hohe Erwartungen weckten. Diesen wurden die Kreuzzügler aus Chicago auch durchaus gerecht – und standen doch im Schatten eines völlig verrückten, abgedrehten und wahnsinnig guten Quartetts, das im Sekundentakt für Lacher und ungläubige Gesichter sorgte. AC/DC im Hillbilly-Stil und nur mit akustischen Instrumenten? Das können Hayseed Dixie doch nicht ernst meinen! Und ob. Sie konnten es. Und sie taten es.

Immerhin sind „die verlassene Autobahn von Bruder Hank Williams und die Autobahn zur Hölle nicht die gleiche, sondern die selbe Straße.“ Gnadenlos zogen die vier Rednecks um Frontmann John „Barley Scotch“ Wheeler Metal, Pop, Rock und Willy Millowitsch durch den Kakao (ja, auch „Schnaps, das war sein letztes Wort“ erklang), bearbeiteten dabei Bassgitarre, Banjo und Mandoline in atemberaubender Geschwindigkeit und peitschten das frenetisch feiernde Publikum in den Partyhimmel. So eine Stimmung hat es wahrscheinlich selbst in der Geschichte des Rockpalasts noch nicht gegeben. Aber es hatte auch noch nie zuvor jemand Bluegrass auf Speed geraucht. Und dazu das von Wheeler geliebte und besungene Schwarzbier getrunken. Damit geht alles.

Auch deswegen wirkten The Great Crusades weitaus harmloser, als sie letztlich waren: So sehr sich die vier Jugendfreunde auch bemühten und einen erstklassigen Americana-Song nach dem nächsten präsentierten, blieb die Menge im direkten Vergleich mit Hayseed Dixie doch verhaltener. Vielleicht hörte sie aber auch einfach besser und konzentrierter zu, genoss den geradeaus rockenden Sound, in den immer wieder Blues- und Tex-Mex-Elemente hineingemischt wurden. Sänger Brian Krumm zeigte sich vielseitig, anfangs gerne mal brachial schreiend, dann wieder – etwa bei „Sons and Daughters“ – mit charismatischer Reibeisenstimme ruhigere Töne anschlagend. Die anderen beiden Brians der Band kümmerten sich derweil um die Unterstützung von den Saiten, der eine zwischen Gitarre und Keyboard wechselnd, der andere einen soliden Bass spielend. Für den nötigen Drive sorgte zudem Drummer Christian Muder, der immer wieder bewies, dass man ein Schlagzeug auch stehend bearbeiten und dabei Gas geben kann. Irgendwann schien alles zu stimmen, auch die Interaktion mit dem Publikum klappte schließlich problemlos. Und dennoch: Der ganz große Wurf blieb aus. Ja, The Great Crusades waren wirklich gut. Aber nur selten elektrisierend.

Einen Tag zuvor setzte das Crossroads-Gestival einmal mehr auf Gegensätze. Melancholie und Schwermut trafen auf wilden Funk und eine spektakuläre Optik. Auf der einen Seite Sivert Høyem, dieses nordische Äquivalent zu Nick Cave mit einem Faible für progressiven, dunklen Rock, auf der anderen die Prince-Bassistin Nik West mit ihren heißen Rhythmen. Im Publikum kam das gut an, zumal vor allem Høyem einige Fans im Publikum verzeichnen konnte, die ihn noch aus Madrugada-Zeiten kannten. Die konnten die Irritation des Sängers über das in seinen Augen viel zu helle Licht denn auch am ehesten nachvollziehen. Sonderlich hell war es auf der Bühne zwar nicht – andererseits hätten flackernde Kerzen als einzige Beleuchtungsquelle gut zu den melancholischen Klängen gepasst. Zwar ließen Høyem und seine Mitstreiter die Gitarren durchaus krachen, blieben aber rhythmisch und melodisch häufig in den Fängen der Schwermut. Egal: So lange diese bemerkenswert charismatische, volle Stimme dazu sang, war auch ein Abtauchen in die emotionalen Tiefen schön. Vor allem da man hinterher wieder von Nik West herausgezogen wurde. Die 26-Jährige machte eine großartige Figur, war schon optisch in ihrem Glitteroutfit, den LEDs auf dem Bassgurt und dem lila Kopfschmuck ein Hingucker. Dazu noch ein massiver Slap-Bass, den sie sinnlich umgarnte und mit dem sie das Fundament für einen treibenden, mit Soul und Jazz angereicherten Funk legte. Kein Wunder, dass Prince Nik West haben wollte. Und nur eins von ihr verlangte: „Just do you“. Sei du selbst. Dann kann nichts schief gehen.

Auch der zweite Tag des Festivals hatte es in sich – und nahm fast schon die Überraschung des Finales vorweg. Denn erneut stand eine weitgehend unbekannte Band einem renommierten Künstler gegenüber, den die Veranstalter schon lange verpflichten wollten. Doch so gut JJ Grey & Mofro auch waren, die ein exzellentes Bluesrock-Konzert spielten, für die Überraschung des Abends sorgten Wille And The Bandits. Die Briten brannten ein explosives Feuerwerk ab, sprangen spielend zwischen den Stilen umher, erinnerten mal an Neil Young, dann wieder an Pearl Jam, mischten noch ein paar Metal-Klänge hinein und scheuten sich auch nicht, ab und zu die Flamenco-Gitarre erklingen zu lassen. Überhaupt war es beeindruckend, was vor allem Wille Edwards aus den Saiten herausholte. Geschickt verzerrte er die Klänge seiner Akustik-Instrumente, ließ es auf kreative Art und Weise krachen und brachte mit seiner rauen, kraftvollen Stimme den Saal zum Toben. Bassist Matthew Brooks, der zwischen einer Bass-Gitarre und einem gelegentlich gestrichenen Skelettbass wechselte, setzte dazu den Kontrapunkt, während sich Drummer Andrew Naumann um Kopf und Kragen trommelte. Gegenüber dieser rohen Energie wirkte der Südstaaten-Rock JJ Greys fast schon bieder, auch wenn das weder dem Künstler noch seiner Musik gerecht wird. Er ist klarer, abgeklärter, strukturierter, vorhersehbarer. Aber nicht schlechter. Ganz im Gegenteil: Vielen im Publikum lag dieser Blues-lastige Stil mit den fetten Bläsersätzen und der herausragenden Dynamik weitaus mehr als die kantigen Klänge der ersten Hälfte. Dementsprechend gut war die Stimmung, selbst ein Plastikkrokodil, das mit Hilfe der Menge einmal quer durch den Saal schwebte, passte ins Bild. Die Crossroads-Macher haben damit mal wieder bewiesen, wie gut und wie vielfältig die Rock-Landschaft sein kann, wenn man nur mal ein wenig abseits der Hauptstraße schaut. Und an einer Kreuzung zumindest ab und zu einen ungewöhnlichen Weg einschlägt.

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