„Der Volkshai“: „Alles tutti frutti, ab ins Wasser“

Haie? Gibt es nicht am Strand von Rimini. Schon gar nicht kurz vor der Fußball-WM 1996, wenn ein Badeverbot einem wirtschaftlichen Todesurteil gleichkäme. Dann doch lieber den ein oder anderen zerstückelten Jungen in Kauf nehmen, einer Schiffsschraube die Schuld geben und auf dem Grab eine Wahlkampfrede halten. Als ob sich der Hai davon aufhalten oder ablenken ließe. Kann nicht so recht funktionieren – und in der Uraufführung von Nolte Decars neuestem Stück „Der Volkshai“, das jetzt in der Theater-Werkstatt Bonn seine vom Publikum bejubelte Premiere feiern konnte, tut es das auch nicht. Das auf Motiven aus Ibsens „Ein Volksfeind“ und Spielbergs „Der weiße Hai“ beruhende, im Laufe der Proben zusammen mit Regisseur Matthias Rippert und den Schauspielern entwickelte Stück zeigt sich, typisch für das in Bonn durch „Helmut Kohl läuft durch Bonn“ bekannt gewordene Autorenduo, als wilde Groteske – und leidet zugleich trotz guter, zum Teil gar herausragender Darsteller, an dem inzwischen leider üblichen Hang zur Übertreibung mit den Überzeichnungen. Das ist zum Teil zwar schreiend komisch, lotet das Potenzial dieser ungewohnten und doch so passenden Mischung aus Hollywood-Blockbuster und Drama nicht konsequent aus.

Dabei sorgt schon alleine Sören Wunderlich, der kurzfristig für den erkrankten Bernd Braun einspringen musste, für eine Offenbarung: Als Bürgermeister Umberto liefert er eine Meisterleistung ab, ist grell, aber zugleich charismatisch, vielschichtig, dynamisch, kurzum herrlich komplex. Eine Parodie mit Charakter und Tiefgang, ein Mann, dessen Wahn man bei all seiner Perfidität verstehen kann. „Diese Stadt ist alles, was ich habe“, ruft er irgendwann – und erhält durch Wunderlich einen derart verzweifelten Unterton, dass man ihm seine Weigerung, die Existenz des Hais auch nur in Betracht zu ziehen, beinahe verzeiht. Kein Wunder also, dass er die Bademeisterin Giulia (in Wahn und Wut stark: Anne Kubatzki), die als einzige die Menschen schützen möchte, zum Volksfeind beziehungsweise -hai deklariert, zur Hexe, die als einzige nicht ins kollektive „Alles tutti frutti, ab ins Wasser“ einstimmt. Das zu Beginn scheinbar lasziv-naive Baywatch-Blondchen mausert sich nach und nach zur Männer mordenden Domina – eine reizvolle und irgendwie logische Entwicklung, die aber leider nicht konsequent verfolgt und herausgearbeitet wird. Giulia kann und darf sich nicht erklären, diskutiert lediglich ausgiebig mit ihrem Lebenspartner Dino (Robert Höller), einem an einen griechischen Meeresgott erinnernden Öko-Anhänger, der seine Ideale zu Gunsten von Wohlstand opfert. Doch aus diesem Konflikt heraus entsteht keine echte Kraft, ist er doch zu weit weg von der lebensbedrohlichen Hai-Problematik.

So bleibt die Auseinandersetzung mit den Grundideen der beiden Stoffe weitgehend unbefriedigend: Statt mit Ängsten spielen Nolte und Decar mit Klischees, ziehen Lacher ernsten Mienen vor und scheuen eine tiefer gehende, psychopathologisch angehauchte Diskussion. Selbst der zwischen Ehre und Gier gefangene Journalist Cesare Manzini (Hajo Tuschy), potenziell ein prächtiger Gegenspieler Umbertos, entwickelt sich schnell zu dessen Stiefellecker, zu einem Echo ohne Substanz. Schade, vor allem da Tuschy den hin und her gerissenen Schreiberling mit viel Verve spielt, bis dieser irgendwann zur eindimensionalen Randfigur reduziert wird. Da wäre mehr drin gewesen, zumal Wunderlichs Umberto mit einem streitlustigeren Gegenpart noch heller hätte strahlen können, als er es ohnehin schon tut. Doch dafür hätte es einer stringenteren Handlungsführung bedurft, einem klaren Fokus statt einer breiten Streuung skurriler Ideen. So bleibt der „Volkshai“ lediglich eine zum Teil brillant gespielte, unterhaltsame Posse – nicht schlecht, aber längst nicht so gut, wie es hätte werden können.

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