Unheilig: Adel verpflichtet

„Irgendwann merkt man gar nichts mehr“, ruft der Graf mit einem kurzen Blick gen Himmel. Regen? Pah! Das kann doch einen wie ihn nicht erschüttern. Er ist ohnehin nass, ob nun vom Schweiß oder aus anderen Gründen, ist da völlig irrelevant. Und was für den Sänger von Unheilig gilt, trifft auf die mehreren tausend Fans, die auf den KunstRasen gekommen sind und diesen endlich einmal wieder ordentlich füllen, erst recht zu. Das leichte Geniesel, das pünktlich zu Konzertbeginn begann (vor größeren Schauern blieb das Konzert zum Glück verschont), spielt schon seit den ersten Tönen keine Rolle mehr.

Stattdessen wird gefeiert. 15 Jahre Unheilig, das bedeutet auch 15 Jahre Pathos in Reinform, Kerzenschein auf schwarzer Bühne, gemeinsames Singen pompöser Hymnen. Und 15 Jahre mit dieser charismatischen Figur im schwarzen Anzug, mit dem Grafen und seiner eindrucksvollen, sonoren Stimme.

Der geheimnisvolle Frontmann von Unheilig (über seiner wahren Identität sowie über seinem Privatleben liegt ein Mantel des Schweigens) weiß genau, was seine Anhänger wollen: Kein Konzert, sondern vielmehr eine Messe, ein Gefühl der Gemeinschaft und die Hoffnung, das schon alles irgendwie gut wird. So bindet der Graf die Menge auch sogleich mit ein, fordert ihre Arme und ihre Stimmen und genießt dabei den gewaltigen Chor, der seine Hymnen frenetisch mitsingen. Immer wieder scheint er überrascht von der Unterstützung und der Zuneigung, die ihm die Fans entgegenbringen, steht mit offenem Mund da und scheint es gar nicht so wirklich fassen zu können, obwohl er ja schon längst ganze Stadien gefüllt hat. Gespielt wirken seine Emotionen dennoch nicht – etwas, was auch dem Publikum nicht verborgen bleibt, das nur noch enthusiastischer wird und so eine Erklärung für den unglaublichen Hype liefert, der immer noch um das Phänomen Unheilig gemacht wird.

Was allerdings fehlt, ist eine über die geteilten Songs hinausgehende Kommunikation mit der nassen Menge. Stattdessen wird ein Hit nach dem anderen abgespielt, ein Dutzend pro Stunde. Eine beachtliche, eigentlich unnötig hohe Schlagzahl. Gleich zu Beginn sorgt der Graf mit „Lichter der Stadt“ und „Unter deiner Flagge“ für die ersten Höhepunkte, In einer Massenabfertigung geht es danach weiter. Mal wird gemeinsam geflogen („Feuerengel“), mal gemeinsam existiert („wir sind alle wie eins“). Zunehmend treten Disco-Beats in den Vordergrund, kommen die Elektronika zum Vorschein, mit denen Unheilig damals startete und die er bis heute pflegt. Von einer Werkschau, einem echten Rückblick auf die vergangenen 15 Jahre kann dennoch keine Rede sein: Die ersten drei Alben sind nur mit jeweils einem einzelnen Song vertreten, „Moderne Zeiten“ geht gar komplett leer aus. Schade, zumal die Fans etwa bei dem doch recht harten „Maschine“ so richtig aus sich herausgehen. Doch gehört jenes Stück zu der Zeit, als Unheilig noch nicht massentauglich war und bleibt somit eine Ausnahme im Programm. Dafür darf Gitarrist Christoph „Licky“ Termühlen zwei Stücke aus seinem eigenen Solo-Projekt vorstellen – und auch der Graf lässt sich nicht lumpen, präsentiert nach etwa anderthalb Stunden bei den Zugaben neben der Über-Hymne „Geboren um zu leben“ mit „Goldrausch“ ein ganz neues Stück. Natürlich in der Hoffnung, selbst weiterhin auf das Edelmetall zu stoßen. Die Begeisterung der Fans lässt darauf schließen, dass ihm dies gelingen dürfte. 

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