Harmonie beruht in der Regel auf Verständnis. Bedingungsloser Zuverlässigkeit. Und auf einem Dialog auf Augenhöhe. Zugegeben, nicht immer eine leichte Aufgabe. Doch wenn es funktioniert, kann
daraus etwas Wunderbares entstehen, wie Chick Corea und Stanley Clarke am vergangenen Samstag eindrucksvoll demonstriert haben. Seit mehr als 40 Jahren sind sie Weggefährten, haben den Fusion
Jazz mit der Band „Return to Forever“ entscheidend geprägt, gehören zu den besten Musikern ihres Fachs – und verstehen sich blind, ohne Worte, ohne Gesten. Einfach nur, indem sie spielen. Aber
wie.
Vor gerade einmal 700 Besuchern nahm sich das Duo die alten Kompositionen ihrer Blütezeit vor, transformierte sie in „Kammermusik-Versionen“ (wie Clarke einmal selbst sagte) und kombinierte das
klassisch geprägte Pianospiel Coreas mit den virtuosen Basslinien Clarkes — so wie es schon immer war und für immer sein müsste. Ein Dreh, ein Klick, eingerastet, passt. Genussvoll spielten Corea
und Clarke die alten „Return to Forever“-Nummern, die ganz alten, noch bevor Al Di Meola dazustieß: Die ineinander fließenden Stücke „Sometime Ago“ und „La Fiesta“ (ersteres kommt auch ohne den
Gesang von Flora Purim und die leichten Flötentöne Joe Farrells aus) etwa, in denen Clarkes Linien und Soli für den Zusammenhalt sorgen, während Coreas Melodieführung in manchen Momenten an
Claude Debussy erinnert. Oder „After the Cosmic Rain“, ungewöhnlich in dem Unplugged-Gewand, durch das die Psychedelic- und Space-Rock-Elemente, die ursprünglich auf dem Album „Hymn of the
Seventh Galaxy“ präsent waren, an den Rand gedrängt wurden. Nicht schlimm, nur eben anders. Klassischer. Ruhiger. Und zum Teil auch klarer. Zusätzlich gab es Kompositionen für Chick Coreas Vater
Armando (dessen Namen Corea selbst eigentlich ebenso trägt wie den seines Großvaters Anthony) und für Clarkes Ehefrau Sophia – ein herrliches Semi-Solo-Stück für den Bassisten, der gefühlvoll mit
dem Bogen über die Saiten strich und dann, als Corea sich eine kleine Pause gönnte, die Bühne ohne Probleme zu dominieren wusste. Auch den Verstorbenen gedachte das Duo: Dem am Freitag nach
langer Krankheit verschiedenen Charlie Haden, dem Corea eines seiner stilistisch an Béla Bartóks Mikrokosmos erinnernden Kinderlieder widmete, und dem unvergessenen Bill Evans, dessen „Waltz for
Debbie“ das Duo leicht und keck präsentierte.
Den Kontakt zum Publikum suchten die beiden Jazz-Haudegen übrigens von der ersten Sekunde an. „Schade, dass ihr so weit weg sitzt“, sagte Corea – stimmt, in einem Club hätte das Konzert
vielleicht noch mehr Atmosphäre gehabt. Doch auch auf dem KunstRasen kann ein Dialog zwischen Musikern und Zuhörern aufkommen. Wenn letztere erst einmal verstanden haben, dass sie auch etwas
sagen beziehungsweise singen dürfen. In den Zugaben forderten Corea und Clarke zunächst vergebens ein call-and-response-Spiel, bis sich aus dem hinteren Block eine Frau erhob und mit
leidenschaftlichem Scat-Gesang für die wohl eindrucksvollsten Minuten des gesamten Konzerts sorgte. Ohne Scheu gab sie den Piano-Phrasen Coreas Antwort und der Menge den Mut, bei dem legendären
„Spain“ nicht nur fleißig mitzuklatschen, sondern auch ihre Stimmen zu erheben und sich mit den beiden Jazz-Giganten auf der Bühne auszutauschen. Am Ende herrschte, wie sollte es anders sein,
Bedauern über das Konzertende nach gut anderthalb Stunden. Aber auch Zufriedenheit, Begeisterung, Glückseligkeit. Und vielleicht sogar ein Hauch von Harmonie.
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