„Schattenfrau“: Puppenspiel im Selbstversuch

„Was glaubst du, wer du bist?“ Diese Frage steht am Anfang von „Schatten::frau“, einem Theaterprojekt der besonderen Art, das am vergangenen Mittwoch in beziehungsweise vor den Kammerspielen Bad Godesberg Premiere hatte. Es ist eine gute Frage, keinesfalls rhetorisch gemeint, keine reine Banalität – zumindest nicht für den einen Zuschauer, der ganz allein, mit einem Kopfhörer über den Ohren, zum Spielball fremder Stimmen wird, von ihnen gelenkt und definiert. Zu Püppi wird man, einer Frau mit Porzellangesicht und dürren Beinchen, die ihren Träumen hinterher hinkt und selbst einen Fluchtversuch nur auf einer Kreisbahn unternehmen kann. Aber welche Wahl hat Püppi, hat der Zuschauer und hilflose Akteur schon? Ein schöner, alter Mercedes steht bereit, die Fahrt geht Richtung Rhein, raus aus der Stadt. Warum? Weil die Stimmen das sagen. Und man letztlich nur eine Marionette ist.

Unten am Wasser dann die erste von drei recht intimen Begegnungen mit Schauspielerinnen (allesamt großartig: Julia Keiling, Mareike Hein, Birte Schrein), die Spiegelbilder vergangener Zeiten sind, Schattenfrauen, die Püppi immer wieder vor Augen führen, wie treffend dieser Name ist. Als Zuschauer steht man etwas hilflos vor den Akteuren, ist eine Figur ohne Skript: Was ist zu tun, was wird erwartet? Sprechen oder schweigen, agieren oder reagieren, mitspielen oder sich bespielen lassen? Was sind rhetorische Fragen, was echte? Und vor allem: Wer ist man gerade? Staunender Zuschauer oder hilflose Püppi, die irgendwann zum nächsten Treffpunkt dirigiert wird, über Sandpfade, durch Büsche, dann über den Promenadenweg. Keine weiten Strecken, dennoch ist gutes Schuhwerk und zumindest ein bisschen Beweglichkeit empfehlenswert. Zu schnell sollte man aber auch nicht sein, sonst kommt die Stimme, die per Kopfhörer die Anweisungen gibt, nicht so ganz mit. Kleine Momente der Freiheit, in denen die Illusion wackelt.

Nach etwa anderthalb Stunden ist man wieder da, wo alles anfing: In einem Container vor den Kammerspielen. Der Chauffeur öffnet noch die Tür, dann kommt die letzte Szene. Dunkles Interieur, eine fast schon mitleidige letzte Szene und ein kleiner Blick in eine Kindheitserinnerung, dann steht man wieder draußen. Was ist da gerade passiert? Von Hannelore Kohl soll das Projekt von Bernhard Mikeska und Lothar Kittstein inspiriert worden sein, und im Rückblick erkennt man tatsächlich Parallelen: Leidenschaftlich am Flussufer, später liebevoll-freundschaftlich, aber auch ständig verfolgt auf der Promenade, zuletzt zurückgezogen, müde und traurig in der Dunkelheit. Und ja, immer dieser Rollenzwang, dieses Schattendsasein. Eine mögliche Lesart des Stücks. Aber eine, die das Projekt eigentlich gar nicht braucht. Die bemerkenswerte, einzigartige Theatererfahrung stellt sich auch ohne sie ein, wirkt vielleicht sogar dann noch etwas intensiver, wenn man nichts erwartet und alles auf sich zukommen lässt. Ist aber nur ein Ratschlag – von Bevormundungen hat man nach der „Schatten::frau“ erst einmal genug.

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