Jan Josef Liefers: Liedpoesie auf allen Frequenzen

In gewisser Weise ist es eine Premiere: Bei seinem insgesamt dritten Auftritt im Rahmen der Reihe „Quatsch keine Oper“ in Bonn hat Jan Josef Liefers erstmals nicht mit Oblivion gespielt, sondern mit Radiodoria. Neuer Name, alte Band – die Umbenennung war nötig geworden, um Ärger mit einer US-Death-Metal-Band zu vermeiden, die sich „Oblivion“ schon vor Jahren markenrechtlich hat schützen lassen. Ist aber ohnehin nicht so schlimm, denn von den teils jener Vergessenheit anheim gefallenen Liedern, die auf der letzten Tour unter dem Titel „Soundtrack meiner Kindheit“ gecovert wurden, hat sich der Sänger und Schauspieler ebenfalls verabschiedet.

Stattdessen gibt es neues, selbst geschriebenes Material, soliden Deutschrock mit einem stellenweise glasklaren Bekenntnis zum Erbe von Puhdys, Silly und Karat, einigen wenigen alternativen Ansätzen und vor allem bemerkenswert lyrischen Texten über Liebe, Mond und Sterne.

Wenn Liefers singt, hört man den Träumer in ihm. Jenen, der sich von dem Bild einer im Mond steckenden Fahne abgestoßen fühlt und den Erdtrabanten einfach genießen möchte, allein oder höchstens mit einer ganz besonderen Person an seiner Seite. Jenen, der in einer von der Tänzerin África Brau begleiteten musikalischen Lesung ein besonderes, sonderbares Lächeln mit Magnolienblüten belohnt. Und jenen, der heimlich unter der Bettdecke sämtliche Lang- und Kurzwellen-Frequenzen auf der Suche nach neuer Musik durchforstet. Ein bisschen Nostalgie, ein paar Erinnerungen gegen das Vergessen dürfen dann doch sein. Zumal Liefers in diesen Momenten am stärksten ist, ins Rezitieren gerät, liebevoll und eindringlich erzählt und selbst die traumatischen Erlebnisse beim modrigen, zahnlosen Gitarrenlehrer zu etwas Schönem werden lässt.

Auf der anderen Seite mischen sich auch kritische Töne ins Programm. So sucht Liefers in Zeitungen nach guten Nachrichten oder berichtet von seiner damals stark kritisierten Syrien-Reise und der mangelnden Empathie der westlichen Welt für die Opfer in diesem Bürgerkriegsland. Schade nur, dass mit dem darauf folgenden „Unbeschreiblich“ der Fokus nicht ebenfalls auf die Toten und die Flüchtlinge gelenkt wird, die zuvor so konkreten Reflexionen im Lied auf einmal abstrakt werden. Auch musikalisch tut sich da wenig: Sein Kampflied für den Mond ist weitaus innovativer und wagemutiger, einige andere Balladen weitaus intensiver. Da hätte man mehr draus machen können. Aber gut, das ist jetzt Kritik auf hohem Niveau.

Das Publikum hat Liefers bei seinem Konzert immer im Blick: Einmal greift er selbst zu Gitarre und Mundharmonika („mein zweiter Berufswunsch war Bob Dylan“), um von seiner Band verlassen mit den Operngästen zu singen. „Die Fischerchöre sind ein Scheiß gegen euch“, lobt er hinterher. Und geht am Ende des gut zweistündigen Programms auf Tuchfühlung, wandert durch die Ränge, verabschiedet sich noch persönlich mit Handschlag von jedem, der ihm einmal nahe kommen will, und lässt sogar die penetranten Handy-Blitzlicht-Fotos über sich ergehen. „Wir werden uns wiedersehen“, hat er kurz zuvor noch versprochen. Wenn es nach den Fans geht, die letztlich alle stehende Ovationen spenden, müsste er gar nicht erst weggehen. 

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